Download als .pdf Drucken Lesezeit:

Öffentliche Wahl zum Vogel des Jahres 2022

Öffentliche Wahl zum Vogel des Jahres 2022

Wer löst das amtierende Rotkehlchen ab?

Anlässlich des Jubiläums „50 Jahre Vogel des Jahres“ landeten NABU und LBV, die Erfinder dieses Titels, im vergangenen Jahr einen fantastischen Public-Relations-Coup: Statt wie seit 1971 alljährlich im Fachgremium hinter verschlossenen Türen einen Vogel auszusuchen und dem staunenden Publikum zu präsentieren wie der Magier das weiße Kaninchen, riefen die beiden Naturschutzverbände für 2021 erstmals die Bevölkerung zur öffentlichen Wahl des "Vogel des Jahres" auf.

Es beteiligten sich an dieser Wahl sage und schreibe mehr als 455.000 Menschen!

Grund genug für die Ausrichter der Wahl, künftig immer alle Vogelfreund:innen des Landes mitwählen zu lassen. Um den enormen Erfolg der 1. öffentlichen Wahl zum Vogel des Jahres einzuordnen: An den inzwischen gut etablierten, ja berühmten „Citizen Science“-Aktionen des NABU, „Stunde der Gartenvögel“ und „Stunde der Wintervögel“, nahmen jeweils rund 143.000 Gartenvogelzähler:innen teil. Das bedeutet, dass sich für die VdJ-Wahl auf Anhieb mehr als drei Mal so viele ungefiederte Zweibeiner mobilisieren ließen wie für die recht populären Vogelzählungen.

Sensibilisieren und motivieren für Natur- und Artenschutz
Diese Chance, öffentlichkeitswirksam viele Menschen für Vögel und Vogelschutz zu interessieren, möchten NABU/LBV auch weiterhin nutzen und rufen nun erneut zur öffentlichen Wahl des Vogels des Jahres auf. Die Regeln haben sie dabei etwas vereinfacht: Die Ornithologen haben diesmal eine Vorauswahl getroffen. Statt „das Volk“ aus 305 mehr oder minder regelmäßig in Deutschland vorkommenden Arten in einer Vorwahl eine Top Ten wählen zu lassen, aus der dann im 2. Wahlgang der Sieger gekürt wird, ist diesmal ein Kandidaten-Quintett vorgegeben. Das vereinfacht (eine Stimme – ein Wahlgang) einerseits das Verfahren und stellt sicher, dass seriöse Anliegen des Natur- und Artenschutzes nicht zu kurz kommen. So sind vier der fünf Kandidaten als „gefährdet“ eingestuft und der fünfte im Bunde, der ehemalige Massenvogel Feldsperling, steht nun nach einem Bestandsrückgang in jüngster Zeit um 20 Prozent auf der Vorwarnstufe „bald gefährdet“.

Die 5 Kandidaten:
Bluthänfling, Feldsperling, Mehlschwalbe, Steinschmätzer, Wiedehopf

Hier geht es zur NABU-Website mit den fünf Kandidaten: https://www.vogeldesjahres.de/ Jeder der fünf tritt unter einem eigenen Wahlkampf-Slogan an, der in fünf Kurzporträts anhand der artspezifischen Lebensgewohnheiten erläutert wird. Wähler:innen, die sich besonders für einen bestimmten Kandidaten und/oder eine hohe Wahlbeteiligung engagieren möchten, haben die Möglichkeit, Wahlkampfteams zu gründen oder vorhandene zu unterstützen. Dazu können Wahlplakate für den Lieblingskandidaten heruntergeladen werden, um den Kampf um den begehrten Titel in die gewünschte Richtung zu lenken und die Wahlschlacht richtig anzuheizen:
https://www.vogeldesjahres.de/wahlkampf-machen/index.html

Ein Wahlkampfteam für den mit prächtig rotem Brustlatz ausgestatten Bluthänfling nennt sich beispielsweise „Internationale Rotfront“. Selbstredend gehört auch der Autor dieser Zeilen einem Wahlkampfteam an. Bevor ich verrate welchem, ergänze und veranschauliche ich zunächst – ganz neutral, in alphabetischer Reihenfolge – die NABU-Porträts.

Der Bluthänfling: Rotfront gegen Herbizide – für breite Blühstreifen
Namengebend ist der leuchtend blutrote Brustlatz und Stirnfleck der Männchen im Prachtkleid. Die Ausdehnung dieser männlichen Insignien ist sehr variabel. Der zierliche Fink liebt es gesellig und ist oft in kleinen Trupps unterwegs. Als Teilzieher weichen mitteleuropäische Brutvögel dem Winter meist in die westlichen Mittelmeerländer aus. Dafür bekommen unsere heimischen Jahresvögel dann Besuch von Wintergästen aus den nordosteuropäischen Brutgebieten. Der Bluthänfling liebt Sämereien von Wildkräutern und -stauden. Totalherbizide (Glyphosat) vernichten seine Leibspeise. Der Brutbestand in Deutschland ist seit Jahren rückläufig und dürfte vielleicht bei etwa 200.000 Brutpaaren liegen.

Hier geht’s zum Wahlmanifest des Bluthänflings.


In typischer Pose sitzt der männliche Bluthänfling auf seiner Singwarte, gern ein Gehölz mit Blick ins Offenland. Blühstreifen und Wallhecken sind sein Revier.



Der wissenschaftliche Gattungsname „Carduelis“ (carduus = lat. Distel) verweist auf sein Faible für Kräuter- und Staudensamen. Wie der zur selben Gattung zählende Distelfink mag er Distelsamen, in der Brutzeit schleckt er sehr gern Blattläuse.


Der Feldsperling: Spatz ist nicht gleich Spatz
Ja, es hilft nichts, mindestens die beiden hierzulande häufigsten Spatzenarten müssen wir auseinanderhalten: den Haussperling (Passer domesticus) und den Feldsperling (Passer montanus). Während der Haussperling sich auch in der Stadt dem Menschen angeschlossen hat und häufig an Futterhäuschen und selbst in der menschlichen Gartengastronomie auftaucht, zieht der Feldsperling eher offene Kulturlandschaften vor. Beide Arten sind in Deutschland Jahresvögel, verzichten also auf die Reise in den Süden und schlagen sich auch im Winter hier durch. Futterstellen, nicht zuletzt ganzjährige, sind dabei äußerst hilfreich.

Hier geht’s zum Wahlmanifest des Feldsperlings.


Den Feldsperling ziert sein dunkelbraunes Käppchen und der schwarze Wangenfleck auf hellem Grund. Beide Geschlechter sehen im Gefieder gleich aus.



Der Haussperling (steht nicht zur Wahl) trägt ein graues Käppchen, der schwarze Wangenfleck fehlt. Die Weibchen sind die „klassischen“ mittelbraunen „Spatzerl“.


Die Mehlschwalbe: Luftikus und Lehmbaumeisterin

Anders als Bluthänfling und Feldsperling haben wir es hier mit einem klassischen Zugvogel zu tun: Ende März verkünden die eintreffenden Schwalben den Frühling, und Ende September sammeln sie sich in Scharen, um in die afrikanischen Winterquartiere aufzubrechen. Die Vögel sind ausgesprochene Bewohner des Luftraums, als schnelle, wendige Flieger jagen sie ihre Insekten-Beute ausschließlich im Flug.
Das Wahlmanifest stellt auf die Lehmbaukunst der Mehlschwalbe ab: Fast geschlossene Kugelnester werden an geeignete Gebäude geklebt. Neben der Wohnungsnot leidet die Art unter dem Kardinalproblem aller Insektenfresser: Nahrungsverknappung durch Insektizide.

Hier geht’s zum Wahlmanifest der Mehlschwalbe.


Der kreideweiße Bürzel kennzeichnet die Mehlschwalbe. Auch wenn sie nicht ganz so pfeilschnell fliegt wie die verwandte Rauchschwalbe, ist sie ein erfolgreicher, sehr wendiger Insektenjäger der Lüfte.



Mehlschwalben brüten bevorzugt in Kolonien, ihre kunstvollen Lehmnester bauen sie gern unter Dachüberständen, aber auch z. B. unter Brücken. Außerhalb menschlicher Siedlungen  wählen sie Klippen/Felsüberstände als Standort für ihre Bauten.


Der Steinschmätzer: rekordverdächtiger Nachtzieher
Er ist der Liebling der Zugvogelforscher:innen: Unter den Singvögeln gibt es kaum einen, der zwischen dem amerikanischen, europäischen und afrikanischen Kontinent solche Strecken meistert wie dieser elegante, 25 Gramm leichte Globetrotter. Wobei er vorm Abflug nach Afrika rasch sein Körpergewicht glatt verdoppelt, so viel Fett futtert er sich als Flugbenzin vorher an. Dann geht es in etwa siebenstündigen Non-Stop-Nachtflügen gen Süden, Reisegeschwindigkeit etwa 55 km/h, sodass bereits am ersten Tag rund 400 Kilometer zurückgelegt werden. Navigiert wird per Sternenkarte und anhand der für den Vogel buchstäblich sichtbaren Magnetlinien des Erdfeldes. Das Zugprogramm inklusive Richtung und Distanz ist genetisch programmiert. Rund 20 Prozent der ca. 10.000 Vogelarten sind Zugvögel, darunter sind auch etliche Arten, die den ersten Herbstzug von den Eltern erlernen müssen, Gänse beispielsweise.

Hier geht’s zum Wahlmanifest des Steinschmätzers.


Zum Herbstzug im September/Oktober sehen die an und für sich schlanken Steinschmätzer ein wenig moppelig aus. Nicht bloß wenn sie sich ein wenig aufplustern wie dieser hier, sondern weil sie sich für den Langstreckenflug bis in die Überwinterungsgebiete südlich der Sahara mit fetter, eiweißreicher Insektenkost bis zu 25 Gramm Fettpolster anfressen müssen, sie verdoppeln ihr Körpergewicht!



Steinschmätzer in arttypischer, aufrecht stehender Hab-Acht-Pose. Er mag offenes, übersichtliches Gelände. Gute Beobachtungschance, besonders zur Zugzeit, gibt es an der Nordseeküste.


Der Wiedehopf: Rarität mit giftigem Wahlkampfslogan
Jede/r kennt den unverkennbaren Vogel mit der prächtigen Federhaube, aber wie viele von uns haben ihn je in freier Natur gesehen? Dabei ist die Strophe im bekannten Volkslied „Die Vogelhochzeit“ ein Indiz dafür, dass der Wiedehopf einst nicht bloß populär, sondern zumindest regional weit verbreitet war. Auch zahlreiche volkstümliche Namen wie z. B. „Stinkhahn“ deuten darauf hin. Heute ist die Art in vielen Bundesländern ausgestorben, mit 500 bis 900 Brutpaaren deutschlandweit ist der Wiedehopf in Deutschland der mit großem Abstand seltenste Vogel der fünf Kandidaten. Grund für seine hierzulande prekäre Lage ist einerseits der Verlust geeigneter Lebensräume, nicht zuletzt aber auch die Verknappung seiner Hauptnahrung: Insekten, und zwar gern größere wie Maulwurfs- und Feldgrillen sowie Käferlarven. Sein Wahlkampfslogan „Gift ist keine Lösung“ zielt auf das Problem aller Insektenfresser, denen Neonikotinoide die Nahrungsgrundlage vergiften. Aber auch Vegetarier wie Hänflinge und Sperlinge profitieren von weniger Ackergift, denn Herbizide vernichten für sie unverzichtbare Wildkräuter. Zusammen mit dem Wiedehopf würden also auch die vier Mitbewerber einen Blumentopf gewinnen.


Der wärmeliebende Wiedehopf  bewohnt strukturreiche Landschaften, die Nisthöhlen (Spechthöhlen) bieten und unbelastete Bodenflächen für die Insektenjagd zu Fuß.


Beide Geschlechter tragen die prächtige Federhaube, sie wird nach jeder Landung kurz aufgestellt, aber auch bei Erregung und zur Balz. Der volkstümliche Name „Stinkhahn“ geht zurück auf das streng riechende Bürzeldrüsensekret, das besonders während der Brutzeit Feinde abhalten soll.


Mitwählen noch bis zum 18. November
Wer noch unentschlossen ist, prüfe mit dem Bird-O-Mat, welcher Kandidat am besten zu ihm/ihr passt:
https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/vogel-des-jahres/wahl-2021/29200.html


Wieder Hoffnung für den Wiedehopf?

Eine gute Nachricht zum Schluss: Vogelschutz und das Wiederherstellen geeigneter Biotope kann sehr erfolgreich sein. Beim Wiedehopf war dies bereits am Kaiserstuhl zu beobachten, wo ein Schutzprogramm mit passenden Nistplatzangeboten den Bestand in den dortigen Weinbergen innerhalb weniger Jahre von 5 auf 50 Brutpaare verzehnfachte. Der jüngste Erfolg: Der Wiedehopf ist nach fast 50 Jahren zurück in NRW! Seit den 70er Jahren war er im bevölkerungsreichsten Bundesland (wie in vielen anderen) ausgestorben. Mitten im Pott, zwischen Essen und Mühlheim, hat in diesem Jahr wieder ein Paar gebrütet! Dazu brauchte es lediglich eine unvergiftete Streuobstwiese mit Nisthilfen.


Zum Überwintern ziehen Wiedehopfe z. T. bis in die afrikanische Savanne. Sie kehren zurück, wo ihnen unbelastete, strukturreiche Biotope angeboten werden.


Bilder "Bluthänfling": Johannes Kelschebach
Bild "Feldsperling": Prof. Dr. L. Wierschowski
Bild "Haussperling": Ulrich Frese

Bilder "Mehlschwalbe": Prof. Dr. L. Wierschowski
Bilder "Steinschmätzer": Ulrich Frese
Bilder "Wiedehopf": Johannes Kelschebach



Johannes Kelschebach

meist in Oldenburg und viel unterwegs...
Dürfen wir Sie fragen wie eigentlich alles begann?: Ja, dürfen Sie - studiert habe ich Neu,- und Altgermanistik und Philosophie. Danach war ich viele Jahre als Werbetexter und Kreativdirektor für Agenturen tätig.
Und heute?: Seit 2006 arbeite ich als freiberuflicher Kommunikationsberater.
In Ihrer Freizeit erleben Sie auch viel, oder?: Nun, ich bin oft unterwegs. Vor allem in der Natur. Wie sagt man so schön, als Naturgucker und Vogelbeobachter.
Bildnachweis/Portrait: Privat

Johannes Kelschebach

meist in Oldenburg und viel unterwegs...
Dürfen wir Sie fragen wie eigentlich alles begann?: Ja, dürfen Sie - studiert habe ich Neu,- und Altgermanistik und Philosophie. Danach war ich viele Jahre als Werbetexter und Kreativdirektor für Agenturen tätig.
Und heute?: Seit 2006 arbeite ich als freiberuflicher Kommunikationsberater.
In Ihrer Freizeit erleben Sie auch viel, oder?: Nun, ich bin oft unterwegs. Vor allem in der Natur. Wie sagt man so schön, als Naturgucker und Vogelbeobachter.
Bildnachweis/Portrait: Privat
← zum vorherigen Artikel zum nächsten Artikel →
0 Kommentar(e)
Newsletter