Wildtierauffangstation Rastede: Reha-Zentrum und Zufluchtsort

Was ist eine Wildtierauffangstation? Welche Tiere gelangen wie dort hin? Was geschieht mit ihnen? Wir haben in Rastede-Hankhausen, einer von 16 zertifizierten Betreuungsstationen des Landes Niedersachen, einmal nachgeschaut. Der Gründer und Leiter der Einrichtung, Klaus Meyer, gewährte uns Einblicke in die teils alltägliche, aber auch ganz außergewöhnliche Arbeit mit und für unsere Mitgeschöpfe.
Ein Besuch der Wildtierstation Rastede
Nähert man sich an einem Frühsommertag vom Parkplatz aus dem unweit des Schlossparks mitten im Grünen gelegenen Gelände der Wildtierstation, begrüßt einen ein seltsam anmutendes Konzert: Deutlich lässt sich das Klappern etlicher Störche vernehmen, aber es mischt sich mit dem fremden Klang und munterem Flöten exotischer Vogelstimmen. Sprachbegabte Graupapageien und lautstarke Amazonen lassen sich aus ihren Volieren hören, und von oben herab grüßt ein Dutzend Storchenpaare samt Nachwuchs. Offenbar finden hier heimische Tiere und „gestrandete“ Tropenbewohner gleichermaßen Aufnahme? Gleich am Eingang sonnen sich in und an einem kleine Tümpel etliche Wasserschildkröten – durchweg Schmuckschildkröten, die eigentlich jenseits des Atlantiks beheimatet sind. Wie das? Bevor wir uns den tierischen Bewohnern weiter zuwenden, zunächst etwas über die Regeln, die hier gelten…
Hilfe für Patienten (fast) aller Art
Die Mehrzahl der 16 zertifizierten niedersächsischen Wildtierstationen setzt Schwerpunkte. So ist die bekannte Seehundauffangstation Norden auf Robben spezialisiert, es werden aber auch Vögel aufgenommen. Rastede dagegen ist eher „Generalist“: Zwar bilden Vögel den Großteil der rund 2000 Patienten, die im Laufe eines Jahres in Rastede landen. Aber es gilt: betreut werden können alle Vögel, Reptilien, Amphibien und Säugetiere der besonders geschützten Arten. Denn Rastede gehört zu den Betreuungsstationen, die mit dem Land Niedersachsen einen Kooperationsvertrag zur Aufnahme behördlich beschlagnahmter/eingezogener Tiere geschlossen haben, ein wichtiger Beitrag zum niedersächsischen Artenschutzvollzug. Zollamt und Polizei liefern also einen Großteil der exotischen Bewohner, sodass nicht bloß eingezogene Distelfinken Aufnahme in der Singvogel-Freiluftvoliere finden, sondern auch eine 30-Kilo-Anakonda hier ein wohltemperiertes Zimmer belegt.
Es gibt viel zu tun
Das Team in Rastede um Klaus Meyer als Kopf und Mentor erfüllt alle Kernaufgaben der
"Grundsätze zur Förderung staatlich anerkannter Betreuungsstationen in Niedersachsen" des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz.
Dazu zählen vor allem:
- Aufnahme und Erstversorgung von Wildtieren und behördlich eingezogener Tiere
- Tierschutzgerechte Unterbringung und Pflege
- Aufzucht von Jungtieren
- Das Auswildern gesund gepflegter Wildtiere
- Vermittlung nicht wildbahntauglicher Tiere/Exoten an geeignete Tierparks/Halter
- Stationsbezogene Öffentlichkeitsarbeit
Überlebenswichtig: die nötigen „Kröten“!
Für die anerkannten niedersächsischen Wildtierauffangstationen zuständig ist der NWKN, der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Das heißt: „Der NLWKN ist bestrebt, ein flächendeckendes Netz an Betreuungsstationen in Niedersachsen vorzuhalten. Er ist zuständig für die Anerkennung neuer Stationen und begleitet zusammen mit den örtlich zuständigen Landkreisen den Stationsbetrieb. Der NLWKN bezuschusst den ehrenamtlichen Stationsbetrieb mit Landesmitteln auf Basis der "Grundsätze zur Förderung staatlich anerkannter Betreuungsstationen in Niedersachsen" des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz.“
Das heißt natürlich nicht, dass dieser Zuschuss den auskömmlichen Betrieb einer Station, die jährlich rund 2000 Tier aufnimmt und pflegt, sicherstellt. Die Finanzierung ist neben dem ehrenamtlichen Engagement auf Spenden und die Beiträge der Vereinsmitglieder angewiesen. Im Falle der Wildtierauffangstation Rastede e. V. zahlen derzeit etwas über 500 Mitglieder einen Mindestjahresbeitrag von 26 Euro (Schüler/Studenten 15 Euro).
Die Wildtierstation Rastede ist keine öffentlich frei besuchbare Einrichtung wie ein zoologischer Garten oder Tierpark. Anders als die Kollegen der Seehundstation Norddeich erlöst sie also auch keine Einnahmen durch Ticketverkäufe.
Wer durch Mitgliedschaft oder Spende die Arbeit der Wildtierauffangstation Rastede unterstützen möchte, kann dies ganz einfach auf der Website der Einrichtung tun.


Kooperationspartner „Stadt. Land. Grün.“ hilft bei der ökologischen Pflege der fast drei Hektar großen Anlage: Hier wird zur Wegesicherung Totholz aus den Kronen entfernt.
Ökopartnerschaft mit Stadt. Land. Grün.
Weil ehrenamtlichen Einrichtungen wie der Wildtierstation Rastede ständig eine personelle und finanzielle Überforderung droht, ist es gut, starke, kompetente Partner zu finden. Stationsleiter Klaus Meyer freut sich daher sehr über den im März 2025 gefundenen Kooperationspartner „Stadt. Land. Grün.“ Das OOWV-Tochterunternehmen mit inzwischen über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist in der Region der Spezialist für naturnahen, ökologischen Landschaftsbau und nachhaltige Pflege. Genau das, was die Station mit ihrem fast drei Hektar großen Gelände braucht, schließlich sind hier nicht allein Freigehege und Volieren zu unterhalten, es gibt einen Naturlehrpfad, Insektenhotels, Bienenweiden und kleine Feuchtbiotope. Da ist es genau richtig, einen Partner zu haben, der selbstverständlich klassischen Garten- und Landschaftsbau samt Baumpflege beherrscht und zudem mit seinem Team von Biologen und Ökologen die Expertise für Biodiversitätsmanagement mitbringt.


Das Mahdkonzept von „Stadt. Land. Grün.“ ist eigens auf die Wildtierstation zugeschnitten.
Bundesweit und international vernetzt
Um für Tiere, die nicht ausgewildert werden können, geeignete zoologische Unterbringung finden zu können oder möglicherweise die Teilnahme an einer Erhaltungszucht, sind Wildtierstationen überregional und international vernetzt.
Klaus Meyer ist zudem seit vielen Jahren Mitglied bei ProBird, einer Koalition deutscher Tier- und Umweltschutzeinrichtungen zur Rettung verölter Vögel durch professionelle Rehabilitation im In- und Ausland. Leider musste die jahrzehntelange Erfahrung dieser Fachleute für das Säubern von Federkleidern betroffener „Unglücksvögel“ schon an verschiedensten Küsten der Welt in Anspruch genommen werden.
Einer von einem Dutzende Storchenhorsten auf der Station: von freilebenden Weißstörchen als Baumbrut errichtet.
Wildlebende, freiwillige Besucher
Die eingangs erwähnten Storchenpaare sind übrigens ganz aus eigenem Antrieb gekommen und horsten in Hankhausen nicht allein auf Gebäuden und Masten mit Nisthilfe, sondern auch in einem alten Eichbaum und auf zwei Kopfweiden. Vier weitere Horste in unmittelbarem Umfeld sind ebenfalls besetzt und viele hungrige kleine Klapperschnäbel – meist drei pro Nest – wollen gefüttert werden. Dass hier ganz nebenbei in den letzten Jahren eine wildlebende Storchenkolonie entstanden ist, hat wohl mehrere Gründe: Es gibt geeigneten Lebensraum für die Kulturfolger, die Weißstorchpopulation in der Wesermarsch und umzu entwickelt sich ohnehin positiv und, nun ja, es gibt hier immer etwas Zukost zu ergattern. Denn neben den freilebenden Störchen werden hier auch Patienten betreut: Aufgefundene, verletzte Vögel, die nach Kollision mit Leitungen oder Windkraftanlagen überlebten und nun hier, sofern dies möglich ist, aufgepäppelt werden. Im Idealfall ist wie bei allen Wildtieren, die hier landen, das Ziel, die Gesundheit so weit wiederherzustellen, dass ein Auswilderung möglich ist.


Jungstörche ohne ihre natürlichen Eltern müssen mühsam von Hand aufgezogen werden.
Ein typischer Fall
Während Klaus Meyer mir seine Wildtierstation zeigt, läutet sein Handy und ich erlebe einen der alltäglichen Fälle, die auch exotische Tiere nach Rastede ins Ammerland bringen. Die Anruferin berichtet von einer aufgefundenen Schildkröte und bittet um Rat.
Da es nur noch in wenigen Regionen Deutschlands die vom Aussterben bedrohte europäische Sumpfschildkröte als Wildtier gibt, handelt es sich in solchen Fällen eigentlich immer um Reptilien, die ausbüchsen konnten oder verbotener Weise (Faunaverfäschung!) von ihren Haltern ausgesetzt wurden. Bei Landschildkröten ist es meist die Griechische Landschildkröte (Testudo hermanni), die natürlicher Weise den Mittelmeerraum bewohnt, und bei Wasserschildkröten sind es Schmuckschildkrötenarten aus Amerika. Da letztere irgendwann größer werden, als Herrchen es sich vorgestellt hat und das Aquarium nicht mitgewachsen ist, werden sie leider besonders oft willkürlich freigesetzt.
Für den telefonisch avisierten neuen Gast wird für den nächsten Tag die Einlieferung verabredet, wobei Stationsleiter Meyer darauf hinweist, dass nach Möglichkeit für die ersten 90 Tage Kost und Logis zu zahlen sind: Eine Schildkröte schlägt da mit etwa 350 Euro zu Buche.
Ausgebrochen oder ausgesetzt? Land- und Wasserschildkröten, die nicht zur heimischen Fauna zählen, finden in Rastede-Hankhausen eine neue Bleibe unter ihresgleichen.
Spezialität Eulen und Greifvögel
Eine Spezialität von Klaus Meyer sind Eulen und Greifvögel. Er ist Mitglied in der Projektgruppe Fischadler- und Seeadlerschutz Niedersachsen. Aus der freien Wildbahn der Region sind zwei Seeadler auf der Station, denen nach Kollisionen jeweils eine Handschwinge amputiert werden musste, sodass eine Auswilderung leider nicht mehr möglich sein wird. Als Paar können sie aber eventuell im geschützten Reha-Raum dennoch zur Arterhaltung beitragen.
Der Seeadler ist mit vier Paaren auch in der Wesermarsch wieder als Brutvogel heimisch.
Ein junger Fischadler hat dagegen echte Reha-Chancen und kann hoffentlich wieder in die Freiheit entlassen werden.
Neben verunfallten Greifvögeln werden Findlinge und Waisen aufgepäppelt, aber ausnahmsweise hat Klaus Meyer auch Vögeln Unterkunft gewährt, die Falkner aus gesundheitlichen Gründen, nicht mehr selbst halten konnten. Ein Steinadler beispielsweise kann in Gefangenschaft 30 Jahre alt werden, da kann es vorkommen, das sein Halter noch vor ihm dem Tod ins Augen sehen muss.
Einer von zwei Steinadlern aus Falknervorbesitz.
Der „Ammenadler“
Tragische, kriminelle, komische und fantastische Geschichten kann Klaus Meyer aus seiner Arbeit erzählen, die für ein ganzes Buch reichen würden. Da der Verfasser dieser Zeilen mit ihm die Schwäche für starke Vögel teilt, zum guten Schluss noch diese schöne, kuriose Geschichte – kein Ammenmärchen(!): Auch ein seltener Steppenadler aus Falknerbestand befindet sich in der Obhut von Klaus Meyer. Es handelt sich um eine „Adlerin“, die, wenn ihre Hormone soweit sind, regelmäßig im Jahreslauf Eier legt, naturgemäß unbefruchtete. Dennoch werden ihre Muttergefühle produktiv genutzt: Als treusorgende Amme zieht sie sämtliche Greifvogelküken – vom Falken bis zum Bussard – groß, die Klaus Meyer ihr unterschiebt. Erstklassige Arbeitsentlastung für den Chef und seine beiden Tiermedizinischen Fachangestellten.