Die Rückkehr des Königs
Mit bis zu 7 kg Körpergewicht und fast 2,50 m Flügelspannweite ist der Seeadler der mächtigste Greifvogel* und die größte Adlerart Deutschlands: ein wahrer König der Lüfte. Drei Brutpaare dieser einst im Bestand gefährdeten Art brüten heute wieder ganz in unserer Nähe an Weser und Hunte.
Wie alles "Raubzeug" war auch der Seeadler bis ins 19. Jahrhundert hartnäckiger Verfolgung durch den Menschen ausgesetzt und in Deutschland auf einige wald- und seenreiche Gebiete in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg, an der Ostsee sowie in Niedersachsen an der Elbe zurückgedrängt worden und im Bestand bedroht. Nachdem im vorigen Jahrhundert durch Schutzmaßnahmen die Restbestände sich etwas erholt hatten, kam dieser positive Trend zwischen 1950 und 80 vollständig zum Erliegen. Ursache war das als Wundermittel gepriesene Insektizid DDT. Es reichert sich bei Greifvögeln, die wie Seeadler oder auch Wanderfalken am Ende der Nahrungskette stehen, an und schädigt deren Erbgut: Die Eierschalen der Vögel wurden so dünn, dass sie unter dem Gewicht der brütenden Elterntiere zerbrachen. Kann sich eine Art nicht reproduzieren, stirbt sie aus. Jahrzehnte kämpften Naturschützer gegen den erbitterten Widerstand von chemischer Industrie und Agrarverbänden für ein Verbot des damals weltweit am häufigsten eingesetzten Insektizids. Der Erfolg des schließlich erwirkten gesetzlichen Verbots war enorm: Binnen 25 Jahren vervierfachte sich der Bestand der Seeadler in Deutschland! Auch der Wanderfalke kam ohne das 30 Jahre lang verharmloste, hochwirksame Insektengift wieder "auf einen grünen Zweig" und jagt heute (sogar in einigen Großstädten) wieder Tauben.
*Sollte das Wiederansiedlungsprogramm des Bartgeiers, das gerade im Nationalpark Berchtesgaden mit zwei ausgewilderten Jungtieren auch die deutschen Alpen erreicht hat, erfolgreich sein, gibt sich der Seeadler gern mit Platz 2 zufrieden.
Seeadlerpaar unmittelbar vor den Toren Oldenburgs in den Huntewiesen des Moorhauser Polders.
Foto: Prof. Dr. L. Wierschowski
Auch der Wanderfalke erholte sich nach dem DDT-Verbot vor fast 50 Jahren im Bestand und kehrte in unsere Region zurück.
Statt Felsformationen nutz er hier hohe Bauwerke wie diesen Fernmeldeturm oder auch die Betonpfeiler der Oldenburger Huntebrücke als Brutplatz.
Foto: Arbeitskreis Wanderfalkenschutz Nordseeküste
Exkurs DDT: das Glyphosat von gestern
**Vgl.: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/einsatz-von-pestiziden-erst-wundermittel-dann-teufelszeug-1.2969305
Bei diesem erwachsenen Vogel gut zu erkennen: Unsere Seeadler sind keine Weißkopf-, sondern „Weißschwanzseeadler“. Wie der zoologische Artname „albicilla“ besagt das auch die englische Bezeichnung „White-tailed Eagle“. Bei Jungtieren sind die Schwanzfedern noch dunkel und dem Schnabel fehlt noch das leuchtende Gelb.
Foto: Prof. Dr. L. Wierschowski
Hochzeit für Seeadler in Niedersachsen
In Niedersachsen hat sich der Seeadler mit einer erfreulichen, ja erstaunlichen Populationsdynamik von der Elbe her nach Westen bis ins Emsland an die niederländische Grenze ausgebreitet. Gab es 2000 in Niedersachsen nur zehn von einem Seeadlerpaar besetzte Reviere, so weist der Bericht der Arbeitsgemeinschaft Adlerschutz Niedersachsen (AAN) für 2019 bereits 73 Reviere aus, von denen 42 Paare so erfolgreich gebrütet haben, dass 71 Jungadler ausfliegen konnten!* Eine neue Adlergeneration, die auch künftig Neuansiedlungen verspricht.
*vgl. www.projektgruppeseeadlerschutz.de/index.php/home/bestandsentwicklung/niedersachsen-2019
Seeadlerpaar bei Neuenhuntorf: Das Weibchen brütet, der Terzel wacht am Horst. Mehrere 100 Kilo schwer wird so ein Bau, der alljährlich wieder genutzt und um einige Zweige aufgestockt wird.
Fotos: Franz-Otto Müller
Die drei von der Wesermarsch*
Seit 2013 ist auch die Wesermarsch Seeadler-Revier. In Elsfleth-Neuenfelde errichtete ein Adlerpaar in rund 15 Meter Höhe in einem Pappelgehölz einen Horst und zog gleich drei Jungvögel groß! Das Paar ist bis heute rekordverdächtig produktiv: Abgesehen von einem Zwillingspaar 2014, konnten Jahr für Jahr drei flügge Jungadler den Horst verlassen, bis heute also 26 Junge! Diese exzellente Reproduktionsrate ist ein klares Indiz für ein reiches Nahrungsangebot. Einerseits haben die Altadler als Brutstandort ein Gehölz unmittelbar neben der Teichanlage eines ehemaligen Fischzuchtbetriebs gewählt, andererseits bietet die Wesermarsch nicht zuletzt im Winter ein großes Angebot an Gänsen und Enten.
2017 zog es ein weiteres Brutpaar an die Weser. Wiederum ohne Rücksicht auf die ihnen von der Fachliteratur zugeschriebene bevorzugte Brutbaumart (Kiefer!) besetzten die Adler einen Bussardhorst in einem Pappelgehölz bei Deichhausen-Lemwerder und bauten diesen zur Kinderstube für zunächst einen Jungadler aus. In den beiden vergangenen Jahren (2020+21) brachte es auch dieses Brutpaar auf die maximal mögliche Nachwuchszahl von drei flüggen Jungen.
Gleich drei junge Seeadler schreien hier in Deichshausen nach Atzung, die bereits im Anflug ist. Sagenhafte 10 Mal schafften es die Adlerpaare von Neuenfelde und Deichshausen, pro Saison drei flügge Jungvögel großzuziehen. Ein deutliches Indiz für Nahrungsangebot satt.
Foto: Hubert Reisch
2019 folgte bei Neuenhuntorf-Berne nahe der Hunte die nächste erfolgreiche Brut. Schon im Vorjahr hatte ein Seeadlerpaar dieses Revier besetzt und erbrütete immerhin ein Junges. Ein Erfolg, der 2020 wiederholt werden konnte.
Ein echter Pescavore als Nahrung für einen Liebhaber von Fisch, Geflügel und passenden Säugern wie z. B. Nutria und Bisam: Seeadlerweibchen trägt einen Kormoran in den Horst. Ob selbst geschlagen oder als Aas aufgelesen, ist oft nicht leicht zu entscheiden.
Bild: Hubert Reisch
*vgl. Franz-Otto Müller, Die Wiederansiedlung des Seeadlers (Haliaeetus albicilla) im Oldenburger Land in den Landkreisen BRA und FRI sowie Franz-Otto Müller, Seeadler-Brutsaison 2021 in der Wesermarsch
Bitte nicht stören: Abstand halten, Hunde anleinen
Dass Seeadler in der vorwiegend intensiv bewirtschafteten Wesermarsch heimisch geworden sind, ist sicher erfreulich. Um so mehr gilt es, zu berücksichtigen, dass es sich dennoch um scheue Wildtiere handelt: Die mächtigen Greifvögel haben eine Fluchtdistanz von etwa 300 Metern. Wird diese Distanz von unbefiederten Zweibeinern und/oder ihren freilaufenden Hunden unterschritten, führt das zum Abflug auch brütender Altvögel! Störungen am Horst haben beispielsweise in diesem Jahr in Neuenhuntorf zum Brutabbruch geführt. Fliehen brütende oder hudernde Adler, besteht für die Eier/Nestlinge die Gefahr durch Erfrieren oder Tötung durch Raben/Krähen, die den "günstigen Moment" gnadenlos nutzen.
Seeadler legen bereits Mitte Februar 1 bis 3 Eier. Nach 40 Tagen schlüpfen die Küken, die dann von Anfang April an drei Monate als Nestlinge versorgt werden müssen. In den ersten Julitagen verlassen sie den Horst, zunächst noch als Ästlinge im Brutgehölz weiter um Futter bettelnd, ehe sie zum Jungfernflug starten. Daraus folgt, dass mindestens in der sensiblen Zeit von Februar bis August die "Abstandregel" strikt eingehalten werden sollte.
Leider gefährden nicht bloß Störungen durch Unwissenheit/Unbedachtheit die Wieder-Etablierung der Seeadler. 2020 tauchte über dem Zwischenahner Meer ein Seeadlerpaar auf. Es schickte sich an, in einem Waldstück in Garnholt bei Westerstede zu horsten. Wenige Tage, nachdem in einer 100-jährigen Eiche der Horst errichtet worden war, wurde der 25 Meter hohe Baum gefällt.
Ein "glückliches Paar" am Horst: Während der Brutsaison von Februar bis August bitte mindestens 300 Meter Abstand halten, Hunde an der Leine führen und das Glück BITTE nicht stören!
Bild: Hubert Reisch
Gefahren: von Bleivergiftung bis Stromschlag
Seeadler suchen besonders in fischarmen Zeiten nach Aas. Während der Jagdsaison fressen sie mit Vorliebe den Aufbruch von geschossenem Wild, den die Jäger im Wald zurücklassen. Dadurch kommt es zu schweren Bleivergiftungen, weil Bleigeschosse beim Aufprall splittern und den Tierkörper kontaminieren. Zudem wird Bleischrot aufgenommen, wenn Enten oder Niederwild trotz Nachsuche erst vom Adler gefunden werden. Zwar ist längst bleifreie Munition verfügbar, aber auch teurer, weshalb ein Verbot bislang am Widerstand der Jagdlobby scheitert.
Auch Bahntrassen fordern Opfern unter aasliebenden Greifvögeln, die von Zügen erfasst werden.
Eine hohe Dichte von Windkraftanlagen bringt Kollisionsgefahren mit sich, ebenso kommt es an Freileitungen zu Zusammenstößen und tödlichen Stromschlägen. Ein Teil der Kollisionen dürfte ebenfalls auf Bleivergiftungen zurückzuführen sein, weil schon relativ geringe Mengen des Schwermetalls das Zentralnervensystem schädigen, zu Ausfallerscheinungen und totaler Erblindung führen können.
Der mächtige, leuchtend gelbe Schnabel weist diesen Seeadler als Altvogel aus.
Foto: Prof. Dr. L. Wierschowski
Der Adler ist sowohl
real als auch Symbol
Als letzteres bedeutet er
Gewalt und Geilheit, Macht und Ehr,
Durst, Hoffnung, Staat und Gnade.
Was? Geilheit nicht? Wie schade.
Höhenflug der Seeadler kein reiner Triumpf des Vogelschutzes
Einen Wermutstropfen geben Ökologen der erfreulichen Bestandszunahme des Seeadler bei: Es war nach dem DDT-Verbot leider nicht so sehr die exzellente Naturschutzpolitik, die dazu führte, dass der Seeadler von der Roten Liste genommen werden konnte – selten ist er hierzulande immer noch. Ähnlich wie der Kormoran und der Fischadler profitiert die Art von der Eutrophierung unserer Gewässer. Denn der Nährstoffüberfluss durch die gefährliche Stickstoff-Überdüngung unserer Seen, Fließgewässer oder auch der Ostsee führt (solange das Gewässer nicht "umkippt") zu einem großen Angebot einiger Fischarten.
An die Stelle von DDT als Insektengift sind heute Neonikotinoide getreten: Nervengifte, die vor allem als Saatgutbeizmittel für Mais, Zuckerrüben, Raps u. a. Nutzpflanzen verwendet werden. Bohrende wie beißende Schadinsekten von der Blattlaus bis zum Kartoffelkäfer werden damit wirksam bekämpft. Leider ist auch für beispielsweise das Rebhuhn die Aufnahme von 5 Maiskörnern, 6 Rübensamen oder 32 Rapssamen eine letale Dosis.
Eine niederländische Studie zeigt zudem eine frappierende Kongruenz von Flächen, auf denen Neonikotinoide ausgebracht werden, mit den Flächen, auf denen fast alle Insekten fressenden Vogelarten verschwunden sind.
Ornithologischer Steckbrief Haliaeetus albicilla
Nahrung:
Brutbiologie:
Lebenserwartung: