Alles, was Sie schon immer über Schnecken wissen wollten
Auch wenn weder der chinesische noch sonst ein Tierkreiszeichenkalender es kennt, es ist präsent: „Das Jahr der Schnecke“ – und jede Gärtnerin hat es längst bemerkt, 2024 steht ganz im Zeichen der verfressenen Schleimer. Wieso eigentlich? Und was kann mensch da (gegen) tun? Hier soll ein wenig die Biologie der ungeliebten Mollusken beleuchtet werden und vor allem die Frage der Saison: Was hilft bei übermäßigem Schneckenbefall wirklich und was sind bloß Mythen und Märchen?
Der Schnecken-Schrecken
Wo gestern noch Gurken- und Zucchinipflänzchen zu den leckersten Hoffnungen berechtigten und eitel Blumenpracht das Auge erfreute, stehen am nächsten Morgen nur noch karge Stängel. Im Schutze der Nacht hat das große Fressen stattgefunden: Schnecken haben das frische Grün buchstäblich weggeraspelt – genauer unsere inzwischen häufigste Nacktschneckenart Arion vulgaris, die irrtümlich den Trivialnamen Spanische Wegschnecke trägt, da immer mal wieder behauptet wurde, es handele sich um eine durch Obst- und Gemüseimporte eingeschleppte, invasive Art von der iberischen Halbinsel.
Wegschnecken können in ihrer Färbung sehr stark variieren. Verwandte Arten wie diese „Spanische“ Wegschnecke (Arion vulgaris) und die Rote Wegschnecke (Arion rufus) sind oft nur vom Experten oder erst nach einem Gentest zu unterscheiden. Einige Fachleute vermuten, dass die robuste Art Arion vulgaris ihre Gattungsgenossin rufus zunehmend verdrängt.
Die „Spanische“ Wegschnecke ist „urdeutsch“
„Fressen uns Einwanderer aus dem Süden die Salatbeete leer? Weit gefehlt: Erbgut-Untersuchungen zeigen nun, dass es sich bei der von Gartenbesitzern gefürchteten Spanischen Wegschnecke um einen mitteleuropäischen Ureinwohner handelt“, klärt der NABU auf und bezieht sich damit auf Studien des Biodiversität- und Klima-Forschungszentrums (BiK-F) sowie der Goethe-Universität Frankfurt am Main: Mit Hilfe von Genuntersuchungen wurde ein genetischer Stammbaum erstellt und zur geografischen Verbreitung in Beziehung gesetzt, Resultat: Arion vulgaris früher lusitanicus (nach der römischen Provinz Lusitanien im Westen der iberischen Halbinsel, heute Portugal) kommt in seinem vermeintlichen Herkunftsgebiet vielleicht überhaupt nicht vor, ist aber bei uns mit Sicherheit heimisch.
Mittlerweile gilt Arion vulgaris als die häufigste Schneckenart in Deutschland. Naturschützer fürchten, dass die sich explosionsartig vermehrende Nacktschnecke andere Wegschnecken verdrängt.
Woher kommt die Schneckenschwemme?
Auf einen milden Winter ohne strenge Bodenfröste, folgte ein nasses Frühjahr, das sich bislang in einem recht feuchten Sommer mit moderaten Temperaturen fortsetzt. Das ist schlicht ideal für hiesige Schnecken.
Arion vulgaris kann mit einer Lebenserwartung von bis zu drei Jahren sowohl als adulte Schnecke wie auch als Ei überwintern, solange die Temperatur im Winterversteck (meist einige Zentimeter unter der Erde) nicht unter – 2 °C sinkt. Die ersten Monate der Wachstumssaison 2024 waren oft so nass, dass schon tagsüber tüchtig gefuttert werden konnte.
Warum nun ausgerechnet die relativ große Wegschnecke von den allgemein schneckenfreundlichen Witterungsbedingungen profitiert, dürfte mit einigen günstigen biologischen Voraussetzungen zusammenhängen.
Auf ihrem Vormarsch nicht zu bremsen: Arion vulgaris geht ihren Weg. Gut zu erkennen ist hier das Atemloch mittig auf der rechten Seite des Mantels. Auf dem oberen, längeren Fühlerpaar sitzen die Augen.
Jede kann mit jedem …
Die Malakologie (Weichtierforschung) ist eine weites Feld: Die Schnecken sind die artenreichste Tierklasse aus dem Stamm der Mollusken (Weichtiere), über 100.000 Schneckenarten sind mehr oder minder bekannt. Davon gehören rund 30.000 Spezies zu den Landlungenschnecken – und diese haben alle eines gemeinsam: Sie sind allesamt Zwitter, die männliche wie weibliche Keimdrüsen in sich vereinen. Bei der Partnersuche (eine Selbstbefruchtung findet nicht statt) müssen unsere Landschnecken daher nicht wählerisch sein: Jede*r kann sich mit jeder*m begatten und befruchten. Und dabei erfreut sich Arion vulgaris enormer Fertilität: Ein Exemplar von rund zwölf Zentimetern ist durchaus für 300 Eier gut! Bei milder Witterung kann vom Frühjahr bis weit in den Herbst gelaicht werden. Außerdem: Kaum eine andere heimische Schneckenart ist so gut gegen Fressfeinde gefeit wie eine adulte Arion vulgaris (s.u.).
Die Genetzte Ackerschnecke (Deroceras reticulatum) steht den größeren Arionarten hinsichtlich des Appetits auf frisches Grün kaum nach, muss aber Fressfeinde wie den Igel durchaus fürchten.
Schneckentempo: Höchstgeschwindigkeit 20 Meter pro Stunde
Bei der Erhaltung der eigenen Art kommen Schnecken so richtig in Fahrt: Nicht etwa auf Nahrungssuche, wie gefrustete Gärtner/innen angesichts eindrucksvoller Fraßschäden vermuten könnten, erreichen sie ihre Höchstgeschwindigkeit, sondern wenn es um so richtig schleimigen Sex geht: Sie verfolgen ihre Geschlechtspartner, indem sie auf deren Schleimspur gleiten. Fehlt eine frische Schleimspur, produzieren sie den Schleim selbst. Dabei können sie die Rezeptur variieren, je nachdem, ob der Schleim als Gleitmittel, als Klebstoff oder zum Schutz gebraucht wird.
Schnecken leben auf großem Fuße
Der Mordsappetit, den Schnecken an den Tag legen (bzw. meist in die Nacht), ist wesentlich ihrer energetisch extrem aufwendigen Fortbewegung geschuldet. Das klingt zunächst vielleicht nach einem Scherz, weil das sprichwörtliche Schneckentempo an eher moderaten Kraftstoffverbrauch denken lässt, doch richtig ist das Gegenteil. Der im Verhältnis zur Körpergröße enorm breite, massige Fuß mit seinen ständigen wellenförmigen Kontraktionen der Muskulatur im Zusammenwirken mit der Schleimproduktion bilden eine der energieintensivsten Fortbewegungsarten im Tierreich.
Das hat aus Gärtnerinnenperspektive eine gute und eine schlechte Konsequenz, die schlechte zuerst: Im Vergleich zum eigenen Körpergewicht können Schnecken erstaunlich viel „Biomasse“ vertilgen, und zwar nach jedem „Fußmarsch“ ins Gemüsebeet von neuem.
Das Gute: Der natürliche Aktionsradius der schleimigen Energiefresser ist meist auf einige Meter rund um den Ort ihres Schlupfs beschränkt.
Schnecken leben auf großem Fuße und haben Stielaugen. Bei Nacktschnecken hat sich das Haus bis auf wenige Kalkfragmente unterm Mantel zurückgebildet, sie haben gegenüber dieser Weinbergschnecke quasi Ballast abgeworfen. Auch diese größte heimische Landschnecke kann im Garten angetroffen werden. Sie steht unter Naturschutz. Adulte Weinbergschnecken bevorzugen welkes Material und verspeisen gelegentlich fremde Schneckeneier.
Biologische Schneckenbekämpfung passiv: mit Gift und Stachel
Viele Pflanzenarten verfügen über diverse Abwehrmechanismen gegenüber Fressfeinden. Gegen Schnecken wehren sie sich äußerlich mit Stacheln (z. B. Rosen) sowie haarigen Blättern und Stengeln (z. B. Habichtskraut). Bei den inneren Werten trumpfen sie mit ätherischen Ölen (Rosmarin, Minze) oder Gift auf (Fingerhut).
Im „Jahr der Schnecke“ wirkt die Giftabwehr in meinem Garten nur bedingt: sowohl Fingerhut als auch Blauregen wurden erkennbar verkostet, nicht aber völlig weggeputzt. Das Gift wirkte immerhin Appetit zügelnd und die Pflanzen überlebten.
Das aus unseren Gemüsesorten zunehmend die Bitterstoffe herausgezüchtet werden, finden Nacktschnecken natürlich sehr lecker.
Wildbienen schwärmen dafür, für Schnecken ist dagegen das mit feinen Härchen besetzte Grün übler als für unsereins ein Haar in der Suppe: Das haarige Habichtskraut trotz Schnecken – leider sind die frischen Blüten bei Rehen beliebt.
Gegen Schnecken ist (k)ein Kraut gewachsen
Zwei Beispielpaare sollen zeigen, wie durch die Wahl der Pflanzen Schnecken entweder angefüttert oder vergrault werden können.
Herrlich anzuschauen ist ein Staudenbeet mit Rittersporn (Delphinum). Leider lieben ihn fast alle Nacktschnecken inklusive Arion vulgaris über alles: schönes, teures Schneckenfutter!
Eine Verwandter aus der Familie der Hahnenfußgewächse mit ähnlich blauer Blütenpracht dagegen verdirbt selbst der verfressensten Raspelzunge gründlich den Appetit: Der Blaue Eisenhut ist die giftigste Pflanze Mitteleuropas, sämtliche Pflanzenteile sind giftig, beim Umgang mit Knolle und Samen bitte vorsichtig sein!
Zu den Blumen, die Schnecken besonders gut schmecken, gehören auch die beliebten Studentenblumen: Tagetes ist bedeutend preiswerter als Delphinum, aber auch im Nu weggeputzt. Die Alternative: Das haarige Habichtskraut blüht mindestens ebenso hübsch und hat bei Bienen und Schwebfliegen die Staubgefäße vorn. Bei der Pflanzenwahl also möglichst dem Motto folgen: Für Bienen hui, für Schnecken pfui!
Diese Schnirkelschnecke (Gefleckte Weinbergschnecke?) hat ihr Gelege an einer Tagetes platziert – als Futter für den Nachwuchs. Auch bei Arten die als adulte Tiere kaum frisches Grün verzehren. knabbern die Jungschnecken bevorzugt zartes Grün. (Foto: Prof. Lothar Wierschowski)
Biologische Schneckenbekämpfung aktiv: Fressfeinde
Schnecken sind für eine ganze Reihe von Tieren eine wichtige Beute. Je naturnäher ein Garten angelegt ist, desto eher wird er von Fressfeinden der Mollusken besucht oder bewohnt. Abendliche Jäger sind der Igel und die Erdkröte, auch Spitzmaus und Blindschleiche verzehren Nacktschneckenarten. Ebenso erbeuten Vögel wie die Singdrossel gelegentlich Schnecken. Die eifrigsten Schneckenvertilger sind wohl Laufenten. Der Enteneinsatz setzt allerdings einen geeigneten, eingehegten Garten und Kenntnisse zur artgerechten Haltung voraus.
Kleine Nacktschnecken (bis ca. 2 cm) sind die Leibspeise dieser kupferfarbenen, beinlosen Eidechse: Blindschleichen mögen z. B. Schnittzweighaufen als Rückzugsversteck.
Außer der Laufente wird leider keine der genannten Arten sich an Arion vulgaris vergreifen. Was den Gehäuseschnecken ihre schützende Schale ist, ersetzen die Nacktschnecken durch einen Schleimfilm. Und der ist bei der Wegschnecke so dick und bitter, dass selbst Laufenten größere Exemplare am liebsten erst mit Wasser abspülen, damit ihnen der eklige Bissen nicht im Halse stecken bleibt.
Der Stachelritter als Retter gegen eine Schneckeninvasion? Jein! Der Insektenfresser verspeist auch Würmer und Mollusken, aber Arion vulgaris mag auch er nicht.
Mehr zu Biowaffen und Abwehrmaßnahmen
Die rein biologische Abwehr der diesjährigen Nacktschneckeninvasion, insbesondere von Arion vulgaris wird vermutlich viele Blumen- und Gemüsefans nicht restlos zufrieden stellen. Denn nicht jede/r ist geneigt, den Garten zu einem Laufentenparadies umzugestalten oder nur noch Kräuter und Blumen zu pflanzen, die den hungrigen Mollusken durch ihre Inhaltsstoffe den Appetit verderben.
Ob es noch vielleicht noch andere „Biowaffen“ gibt und welche sonstigen Verteidigungsstrategien Erfolg versprechen, nehme ich als nächstes unter die Lupe…