Urban Gardening: Trend zum Gartenbau in der Stadt
In vielen Ländern ist es aus wirtschaftlichen Gründen bis heute ganz normal, dass auch die Stadtbevölkerung einen Teil ihrer Lebensmittel selbst anbaut. Bei uns dagegen ist die Tradition des städtischen Gartenbaus in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zurückgegangen. Als Gegenbewegung dazu hat sich Urban Gardening immer mehr zum alternativen Trend entwickelt. Die Nutzung von Anbauflächen innerhalb der Stadt schont das Klima und stärkt gleichzeitig das Gemeinschaftsgefühl der Menschen.
Städtischer Gartenbau wird betrieben, seitdem es Städte gibt. In Paris gab es zum Beispiel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts riesige innerstädtische Gartenflächen im Bezirk Le Marais. Mehr als 8.000 selbständige Gärtner bauten dort auf einer Fläche von 14 Quadratkilometern etwa 100.000 Tonnen Obst und Gemüse an. Zum Vergleich: Das Zwischenahner Meer hat eine Fläche von 5,5 Quadratkilometern! Überregional bekannt ist auch das Beispiel Bamberg: Auch hier wurde seit dem 17. Jahrhundert großflächig Gemüsegartenbau betrieben. Die dazu genutzten Grünflächen prägen bis heute das Bild und haben wesentlich zur Ernennung der Stadt zum UNESCO-Weltkulturerbe beigetragen.
Mit dem Aufkommen moderner Supermärkte, der industrialisierten Landwirtschaft, optimierten Verkehrskonzepten und effektiver Kühlketten ist die Notwendigkeit zur Selbstversorgung in den vergangenen Jahrzehnten zumindest in der westlichen Welt immer weiter zurückgegangen. Dennoch oder gerade deswegen sehnen sich inzwischen immer mehr Menschen danach, Obst, Gemüse und Kräuter wieder selbst anzubauen oder zumindest zu wissen, woher ihre Karotten, Himbeeren oder Bohnen eigentlich stammen. Deutlich wird dieser Trend auch am veränderten Ansehen der guten alten Schrebergarten-Kultur, die lange Zeit als ziemlich verstaubt galt, in den letzten Jahren aber eine regelrechte Renaissance erlebt.
Ausgangspunkt New York
Ausgangspunkt dieser Bewegung war unter anderem New York, wo sich Bürgerinnen und Bürger Anfang der 1970er-Jahren den Verfall verlassener Viertel nicht mehr gefallen lassen wollten und in Nacht- und Nebelaktionen damit begannen, brachliegende Flächen zu begrünen und als gemeinschaftliche Gärten zu nutzen. Mittlerweile ist aus diesem Ansatz eine weltweite Bewegung erwachsen: Egal, ob in London, Berlin, Tokio oder Chicago: Überall suchen Menschen nach geeigneten Flächen, um gemeinsam zu gärtnern und so zur Verbesserung des städtischen Mikroklimas, zur Artenvielfalt und zur nachhaltigen Stadtentwicklung beizutragen.
Gelungene Beispiele für diesen Trend sind hierzulande der Gemeinschaftsgarten „Pagalino“ in Hannover oder das Urban-Gardening-Projekt „Prinzessinengärten“ in Berlin. Seit 2009 wird dort eine ehemalige Brachfläche im Stadtteil Kreuzberg als Nutzgarten für urbane Landwirtschaft genutzt. Auf dem knapp 6.000 Quadratmeter großen Grundstück finden sich nicht nur unzählige Hochbeete, sondern es gab auch offene Werkstätten, Stadtbienenvölker, ein Gartencafé, eine Lernküche zur Verarbeitung der lokalen Ernte und Raum für Märkte sowie Workshops und Vernetzungstreffen. Das Projekt war von Anfang an als mobiler urbaner Garten konzipiert. Entsprechend ist das von der Organisation Nomadisch Grün getragene Projekt mittlerweile an einen neuen Standort in Neukölln umgezogen. Der alte Standort wird demgegenüber als „Prinzessinnengarten Moritzplatz“ weitergenutzt.
Prinzessinnengärten in Berlin-Kreuzberg
Das Flachdach als städtischer Garten
Optimal für Urban Gardening geeignet sind auch bislang ungenutzte Flachdächer. Und davon gibt es reichlich: Allein in Deutschland steht eine Fläche von insgesamt 1,2 Milliarden Quadratmetern zur Verfügung! Das entspricht einer Fläche von über 170.000 Fußballfeldern, die prinzipiell für innerstädtischen Obst- und Gemüseanbau genutzt werden könnte. Internationale Beachtung findet in diesem Zusammenhang das Flachdach des Messegebäudes „Paris Expo Porte de Versailles“, das aktuell als weltweit größtes Urban-Gardening-Projekt gilt. Auf einer Fläche von 14.000 Quadratmeter stehen hier riesige Parzellen mit Sträuchern und Hochbeeten zur Verfügung. Einzelne Beete können für 320 Euro im Jahr angemietet werden, das übrige Obst und Gemüse wird an umliegende Supermärkte abgegeben oder als Gemüsekisten verkauft.
Mittlerweile haben sogar erste Unternehmen das Potenzial von Urban Gardening auf dem eigenen Dach erkannt. Zu den Vorreitern zählt dabei die belgische Supermarktkette „Delhaize“, die 2017 eine Filiale mit einem 360 Quadratmeter großen Dachgarten samt Gewächshaus eröffnet hat, um so die eigenen Verkaufsflächen mit selbst angebautem Obst und Gemüse zu füllen.
Urban-Gardening-Projekte in der Region
Auch bei uns in der Region finden sich einige interessante Urban-Gardening-Projekte. Ein schönes Beispiel dafür ist die Anlage „Bunkergarten“ in Oldenburg, mit der seit 2014 die Rasenfläche zwischen dem Kulturzentrum Wilhelm 13 und dem angrenzenden Bunker als öffentlicher Garten betrieben wird. Eine Gruppe aus ehrenamtlichen Garteninteressierten kümmert sich um die Fläche und baut hier Obst und Gemüse an. Seit 2020 wird das Projekt durch den Ernährungsrat Oldenburg getragen.
Bunkergarten Oldenburg
Lohnenswert ist auch der Besuch der „Gemüsewerft“ in der Bremer Überseestadt. Auf einem ehemaligen LKW-Parkplatz ist hier ein 2.000 Quadratmeter großes Areal mit urbaner Landwirtschaft und angegliedertem Biergarten entstanden. Neben Obst, Gemüse und Kräutern werden dabei auch Hopfen und Jungpflanzen angebaut. Ebenfalls in Bremen gibt es außerdem den vom Verein SozialÖkologie betriebenen „Fleetgarten“ in Walle. Je nach Bedarf kann man hier für ein Jahr eine Fläche von 20 bis 40 Quadratmeter mieten und erhält dabei von geschulten Gärtnern und Gärtnerinnen fachkundige Beratung. Für entsprechendes Saatgut oder Jungpflanzen sowie für Strom, Wasser und Gartengeräte ist ebenfalls gesorgt, sodass man sich letztlich nur noch um Pflege und Ernte zu kümmern braucht.
Urban Gardening auf dem eigenen Balkon
Unabhängig von diesen kollektiven Urban-Gardening-Ansätzen gibt es natürlich auch die Möglichkeit, Obst und Gemüse im eigenen Garten, auf dem Balkon, im Innenhof oder auf der eigenen Dachterrasse anzubauen. Viel Platz ist in der Regel gar nicht nötig, die meisten Arten wachsen problemlos auch in Pflanzkübeln, in Balkonkästen oder in einfachen Kisten. Gärtnerische Vorkenntnisse sind ebenfalls nicht zwingend erforderlich. Vielmehr geht es darum, alleine oder gemeinsam mit Nachbarn oder Freunden der Lust am Gärtnern nachzugehen. Mit etwas Ausdauer können wir dann den Pflanzen beim Wachsen zusehen und später Obst und Gemüse aus eigenem Anbau ernten. Ein echter Genuss, der gleichzeitig auch dem Klima, sowie Vögeln und Insekten nutzt!
Bildnachweis: Titelbild:AYAimages/AdobeStock
Bunkergarten Oldenburg ©Bildnachweis: „Robert Uhde“
Prinzessinnengärten in Berlin-Kreuzberg©Bildnachweis:„Assenmacher, CC BY-SA 3.0“, Quelle:Wikipedia
Bildnachweis: alisonhancock/AdobeStock
Bildnachweis:Monkey Business/AdobeStock
Bildnachweis:vaivirga/AdobeStock
Bildnachweis:miss_mafalda/AdobeStock
Bildnachweis:iris/AdobeStock
Bildnachweis:Luoxi/AdobeStock