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Den Versuchungen des Marketings widerstehen - wie wir bewusster konsumieren

Den Versuchungen des Marketings widerstehen - wie wir bewusster konsumieren

Neuroforscher sind unseren Kaufentscheidungen auf der Spur. Davon profitieren Unternehmen, die Waren immer „hirngerechter“ anbieten können. Aber auch uns Verbrauchern nutzt dieses Wissen, um bessere Kaufentscheidungen zu treffen.

Sie kennen das: Eigentlich wollte man nur schnell Toast und Milch fürs Frühstück kaufen. Die Akkordeonmusik im Supermarkt aber erinnerte so stimmungsvoll an den letzten Frankreichurlaub, da fand dann auch eine Falsche Bordeaux ihren Weg in den Einkaufswagen. Kurz vor der Kasse bewarb ein Plakat das innovative Anti-Aging-Serum und schien einen Versuch wert. Und auch online lauern Verlockungen: Black Friday, Cyber Monday, Vor- und nachweihnachtliche Rabatte, exklusive Shopping-Clubs, in die garantiert nicht jeder aufgenommen wird. Kunden-Newsletter und Algorithmen, die begierig jede unserer Online-Bewegungen registrieren - der moderne Alltag des Homo consumens.

 

Die Folge: Viele von uns kaufen viel mehr als sie wollen. Das belastet die Umwelt ebenso wie unseren Geldbeutel. Es verschwendet wertvolle Ressourcen wie Wasser, verschmutzt Böden und verursacht Müllberge. Die Kauferei wirkt irrational, denn die meisten von uns besitzen längst mehr als sie zum Leben brauchen - allen Minimalismus-Trends zum Trotz häufen wir immer mehr Dinge an. So stehen wir häufig vor der Frage, was uns nur zu diesem oder jenem Kauf getrieben haben mag. Und Hersteller, Händler und Logistiker freuen sich über unsere Verführbarkeit.


Macht kaufen glücklich?
Konsum erzeugt Glücksgefühle. Deshalb geben wir gerne Geld aus. Und Psychologen wissen, dass wir nicht allein auf der Basis rationaler Überlegungen kaufen, sondern auch unbewusst und von Emotionen geleitet. Kurz: Beim Shoppen setzt mitunter der Verstand aus. Die Logik dahinter erschließt sich, wenn man schaut, was dabei im Gehirn vor sich geht, wenn man die Arbeitsweise des Gehirns in typischen Kaufsituationen kennt. Vor allem die funktionelle Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) spielt hier eine wichtige Rolle, weil sie den genauesten Blick auf neuronale Aktivitäten von Probanden ermöglicht, die in einer vorgegebenen Situation eine (Kauf)Entscheidung treffen. Ist ein Hirnareal bei einer Tätigkeit besonders aktiv, wird dort mehr sauerstoffreiches Blut durchgepumpt, das bilden die Aufnahmen ab. Da man inzwischen recht gut weiß, welche Areale für welche Wahrnehmungen und Reaktionen verantwortlich sind, ermöglicht das Rückschlüsse auf die Motive einer Entscheidung.

 

Die Technik ist für Experimente mit Konsumenten mittlerweile sehr beliebt, denn Hirnforscher können damit nachweisen, welche Reize bei Käufern etwa das Gefühl von Belohnung (kaufen!) oder Schmerz (nicht kaufen!) auslösen, wann eher emotionale oder rationale Hirnbereiche in Aktion treten. Die psychologisch immer besser geschulte Waren- und Werbeindustrie greift auf dieses Wissen zurück und gibt selbst auch Studien in Auftrag. Doch auch für uns Konsumenten kann es nützlich sein, die Funktionsweise des Gehirns zu kennen. Nicht nur fällt es so leichter, die Tricks des raffinierten Neuromarketings zu durchschauen, es kann auch helfen, das eigene Kaufverhalten besser zu steuern.



Vor allem starke Emotionen beflügeln den Wunsch nach Konsum.
Unser Belohnungszentrum
Eine zentrale Erkenntnis der Neuro-Konsumforschung lautet: Konsumenten bevorzugen, was starke Emotionen auslöst. Im Mittelpunkt steht hier das limbische System und eine Struktur, die als „Belohnungszentrum“ bezeichnet wird. Der sogenannte Nucleus accumbens hat im Laufe der Evolution dafür gesorgt, dass die Menschheit nicht ausstarb, indem er lebenserhaltende Substanzen und entsprechende Tätigkeiten mit Lustgefühlen quittierte. Vieles, was dem Überleben diente, wie kalorienreiches Essen, Sex und soziale Bindungen, ist mit Lustgefühlen verbunden. „Belohnungen, genauer Ankündigungen einer solchen führen zur Ausschüttung von Dopamin. Und beim Menschen erhöhen Belohnungen deshalb nicht nur die Anreizmotivation, sondern sind auch eng mit positiver Stimmung assoziiert“, erklärt die Psychologin Gesine Dreisbach.

 

Dieses Prinzip funktioniert auch beim Konsum. Denn die für positive Emotionen zuständigen Neuronen werden auch im Umgang mit Geld und Waren aktiv, wie Wissenschaftler herausfanden. Starke Marken und gute Geschichten, Status und Luxus, neue oder schöne Dinge lösten in Experimenten emotionale Erregungsmuster aus. Eine Forschergruppe etwa ließ Testpersonen Weine bewerten. Dafür wurden drei Sorten zu 5, 35 und 90 Dollar pro Flasche ausgeschenkt. Den Versuchspersonen teilten die Forscher jedoch mit, dass es sich um fünf verschiedene Weine handelte. Sie gaben den 90-Dollar-Wein entweder mit dem richtigen Preis oder mit 10 Dollar an. Und der 5-Dollar-Wein wurde entweder mit 5 oder 45 Dollar „verkauft“. Über einen Schlauch kosteten die „Kunden“ dann die verschiedenen Sorten im MRT. Der Preis wurde jeweils auf einem Bildschirm angezeigt, anschließend mussten sie angeben, wie gut der Wein schmeckte; das Gerät zeichnete ihre Hirnaktivitäten auf.

 

Teuer gleich besser? Oder etwa nicht?
Und tatsächlich: Die vermeintlich teuren Weine schmeckten besser. Bereiche im Stirnhirn, die für die Speicherung positiver Erlebnisse zuständig sind, waren aktiv, sobald die Versuchspersonen meinten, einen teuren Tropfen zu trinken. Und das, obwohl der Billigwein die sensorischen Bereiche des Gehirns, die für die Verarbeitung von Geschmackseindrücken zuständig sind, unbeeindruckt ließ. Während die Geschmackszellen merkten, dass der vermeintliche Edelwein nichts Besonderes war, ließen sich andere Bereiche vom hohen Preis in die Irre leiten. So beruht wahrscheinlich ein großer Teil des Luxuskonsums auf diesem Mechanismus: Was teuer ist, ist gut, glaubt unser Gehirn - und kauft.

 

Auch Neugier löst starke Konsumreize aus. Denn sie belohnt das Gehirn mit guten Gefühlen. Diesen Mechanismus nutzt die Konsumindustrie, indem sie immer neue (auch nur vermeintliche) Innovationen auf den Markt bringt. Neues stimuliert unser Belohnungszentrum. „Es macht Sinn, neue Optionen auszuprobieren, weil sie sich auf längere Sicht als vorteilhaft erweisen können. Ein Affe, der in einen unbekannten Teil des Waldes neue Nahrung findet, kann seine Bananen-Diät bereichern“, erklärt die Forscherin Bianca Wittmann den Effekt. Und das leben Menschen beim Konsum aus: „Ich mag meinen Lieblingsschokoriegel haben, aber wenn ich einen anderen in neuer Verpackung sehe, der mir als neu angeboten wird, mit verbessertem Geschmack, kann mich meine Suche nach neuen Erfahrungen ermutigen, von meiner sonstigen Wahl abzurücken. Das schließt die Gefahr mit ein, dass ich nur alten Wein in neuen Schläuchen kaufe“, räumt Wittmann ein.

 

Ist es am Ende auch möglich, mit diesem und ähnlichem Wissen anders einzukaufen, also bessere Entscheidungen im Laden zu treffen? Ja, ohne Garantie zwar, aber einen Versuch ist rationaleres Kaufverhalten auf jeden Fall Wert. Versuchen Sie es einmal mit diesen Tipps von Konsumexpertinnen und Experten:


Tipps für bewusstes Kaufen

- Machen Sie sich vor dem Einkaufen bewusst, was Sie eigentlich brauchen, und halten Sie sich dann auch strikt daran. Konsequenz ist hier gefragt. Für die spontane Shopping-Lust empfehlen Experten, ein gewisses Budget einzuplanen, etwa einen monatlichen Betrag für Konsum. Den aufzubrauchen ist völlig ok. Aber dann sollte erstmal Schluss sein.

- Verzichten Sie beim Einkauf möglichst auf Kredit- und ec-Karten und nehmen Sie stattdessen Bargeld in die Hand. Denn das Gehirn erinnert sich besser an ausgegebene Summen, die bar bezahlt wurden. So behalten wir den Überblick.

- Nach Möglichkeit nicht unter Zeitdruck oder in anderen Stresssituationen einkaufen, denn dann bleibt zu wenig Zeit, um Angebote zu vergleichen oder sich ein umfassendes Bild von der Qualität eines Produkts zu machen.

- Nicht alles, was als neu angepriesen wird, ist es auch. Gerade „Neugier-Käufer“ sollte sich zur Angewohnheit machen, den Innovationsgrad eines Produkts kritisch zu prüfen, um nicht alten Wein in neuen Schläuchen zu kaufen.

- Subjektive Verbundenheit steigert die Kaufbereitschaft, diesen Effekt nutzen Händler, indem sie Kunden Produkte mit nach Hause geben, um sie dort zu testen. Hier kann es hilfreich sein, die Ware im Laden zu lassen, lieber in Ruhe nachzudenken und am nächsten Tag wieder zu kommen.

- Bei Kaufattacken raten Experten, genau zu analysieren, welche Auslöser die unkontrollierbaren Käufe haben, etwa Frust, Stress, ungelöste Konflikte oder Langeweile. Dann sollte man nach alternativen Strategien suchen, um besser mit diesen Auslösern umzugehen: ein Spaziergang, Sport, ein Telefonat mit alten Freunden.


 

Eva Tenzer

Freie Wissenschaftsjournalistin in Oldenburg
Heimat?: Aus dem Süden zugereist vor 25 Jahren - der Nähe zum Meer und der frischen Brise wegen.
Lieblingsthemen? : Alles rund um Wissen, Forschung, Medizin und Psychologie - und es verständlich erklären.
Und sonst? : So oft wie möglich im Flow sein mit Tango und Malerei.
Motto? : Panta rhei - alles fließt.

Eva Tenzer

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