Download als .pdf Drucken Lesezeit:

Eine Region, die aus der Reihe fällt

Eine Region, die aus der Reihe fällt

Ostfriesland, Land der Weite und der Superlative
Ostfriesland wird vor allem durch sein einzigartiges Zusammenspiel von Nordsee, Küste und Binnenland geprägt. Und durch seine ganz besonderen Menschen natürlich, die landauf landab für ihre Sprache, ihren Humor und ihre Jahrhunderte alten Traditionen bekannt sind. Darüber hinaus hat die Region im äußersten Nordwesten Deutschlands aber noch jede Menge weiterer Eigenheiten zu bieten. Denn vor Ort ist nicht nur der schiefste Kirchturm der Welt zu bestaunen, hier finden sich auch die schmalste Autobrücke Deutschlands, die bundesweit größte Indoor-Skatehalle und zahlreiche andere Highlights.


Nur echt mit dem Sahnewölkchen: Der Ostfriesentee.

Ok, dass die Ostfriesen Weltmeister im Teetrinken sind, das haben wir eigentlich schon immer gewusst. Und das mit Abstand übrigens. Denn mit einem jährlichen Verbrauch von 300 Litern pro Kopf wird hier rund zehnmal mehr Tee getrunken als im Rest der Republik. Im Ländervergleich führt übrigens die Türkei (283 Liter) vor Afghanistan (279) und Libyen (275). Und auch im Tee-Land Großbritannien werden im Durchschnitt lediglich rund 200 Liter Tee im Jahr, also deutlich weniger als in Ostfriesland getrunken (Angaben Deutscher Teeverband, 2017).

Deutlich überraschender als die große Vorliebe für Tee sind einige andere Superlative im Nordwesten. Denn wer weiß schon, dass in Aurich die größte Indoor-Skatehalle Deutschlands liegt? Auf einer Fläche von 3.200 Quadratmetern steht eine anspruchsvolle Rampenlandschaft zur Verfügung, die neben einer sogenannten Bowl und einem BMX-Kurs auch eine Minirampe bietet. Die enorme Größe erlaubt es dabei, dass Skater, BMX- und Scooter-Fahrer die Halle gleichzeitig nutzen können. Regelmäßig finden professionelle Wettbewerbe statt, daneben werden aber auch Schul- und Behindertensport angeboten.

Ostfriesische Präzisionsarbeit
Ähnlich abenteuerlich wie ein Besuch der Indoor-Skatehalle in Aurich gestaltet sich eine Fahrt über die Autobrücke in Amdorf bei Leer, die mit einer Fahrbreite von nur 1,85 Metern die schmalste Autobrücke in Deutschland ist. Wer hier ans andere Ufer des Flusses Leda kommen möchte, der muss also schon ein bisschen Geduld und die Fähigkeit zur Präzisionsarbeit mitbringen. Die Brücke wurde 1955/56 als Fachwerkbogenbrücke errichtet und ersetzte seinerzeit eine seit 1886 bestehende Fährverbindung. Zuletzt wurde das Bauwerk 2011 umfangreich saniert. Die aus Holz gefertigte alte Fahrbahn wurde dabei durch eine Gitterrostkonstruktion ersetzt. Außerdem wurde eine Haltebucht für Fahrradfahrer ergänzt.


Kein Durchkommen für alles was größer als ein PKW ist.

Nur wenige hundert Meter weiter nördlich gibt es ein weiteres Highlight zu bestaunen. Denn an der Mündung des Flusses Jümme in die Leda kann man mit der handgezogenen Fähre in Wiltshausen ans nördliche Ufer übersetzen. Die sogenannte „Treidelpünte“ wird schon im Jahre 1562 schriftlich erwähnt, sie war seinerzeit ein wichtiges Verbindungsglied auf dem Weg von Westfalen nach Ostfriesland. Diese große Bedeutung hat die Fähre heute natürlich nicht mehr, aber immerhin gilt sie als die älteste handgezogene Fähre in Nordeuropa.


Ziemlich schräg: Der Kirchturm in Suurhusen.

Und auch sonst gibt es in Ostfriesland jede Menge Superlative zu bestaunen. Wer zum Beispiel etwas richtig Schräges erleben will, der sollte einfach mal nach Suurhusen fahren. Denn mit einer Neigung von 5,19 Grad ist der dortige Kirchturm deutlich schiefer als der weltberühmte Turm von Pisa! Der 27 Meter hohe Backsteinbau wurde 1450 an eine bis dahin turmlose Kirche angebaut, mehr als 400 Jahre lang zeigte er keinerlei Auffälligkeiten. 1885 wurde dann aber festgestellt, dass der auf einem Fundament aus Eichenstämmen über dem Moorboden erbaute Turm eine deutlichen Neigung aufwies, die im Laufe der Jahrzehnte immer weiter anstieg, so dass der Kirchturm 1975 sogar vorübergehend gesperrt werden musste. Durch intensive Sanierungs- und Sicherungsmaßnahmen gelang es jedoch, das Bauwerk wieder zu stabilisieren und ein weiteres Absinken zu verhindern, so dass der Turm heute trotz eines Überhangs von 2,47 Metern als gesichert gilt und an Festtagen zu Gottesdiensten genutzt werden kann.

Einen Gottesdienst ganz besonderer Art kann man auch in der Kirche in Rysum erleben. Das Bauwerk steht auf der höchsten Stelle einer Rundwarft und geht auf das 12. Jahrhundert zurück. Noch bedeutsamer aber ist die im Innenraum erhaltene Orgel aus dem Jahre 1457, die als eine der ältesten bespielbaren und im Grundbestand erhaltenen Orgeln Nordeuropas und als eine der ältesten spielbaren Orgeln weltweit gilt. Wer das Instrument erbaut hat, ist heute nicht mehr genau bekannt. Einige Quellen vermuten aber, es könnte ein Meister Harmannus aus Groningen gewesen sein.

Zwischen Mühlen und Leuchttürmen
Nicht weniger beeindruckend als die Kirchen in Suurhusen und Rysum ist die Mühle in Hage, die mit einer Höhe von 30,2 Metern bis zur Kappenspitze als höchste Mühle in ganz Deutschland gilt. Das Bauwerk war 1880 als Galerieholländermühle errichtet worden, nachdem der Vorgängerbau nach einem Blitzschlag niedergebrannt war. Deutlich älter ist die Hager Mühle ist übrigens die Peldemühle in Wittmund. Der Bau wurde im Jahr 1741 errichtet und gilt damit als ältester noch in weiten Teilen funktionsfähiger Galerieholländer Deutschlands.

Ebenso so typisch für Ostfriesland sind die zahlreichen Leuchttürme. Der bundesweit wohl bekannteste und bunteste von ihnen ist der in Pilsum, der insbesondere durch den Otto-Film „Der Außerfriesische“ von 1989 von sich Reden machte. Daneben gibt es aber auch den Campener Leuchtturm, der mit einer Höhe von 63,30 Metern als der höchste Leuchtturm in Deutschland ist. Seine Bauweise ähnelt übrigens der des Eiffelturms in Paris, der ebenfalls aus dem Jahr 1889 stammt und der ebenso wie der Leuchtturm in Campen mit einem Fachwerk aus genieteten Eisenteilen errichtet wurde. Im Maschinenhaus des Turmes befindet sich außerdem der älteste noch funktionsfähige Dieselmotor in Deutschland. Er wurde 1906 von MAN gebaut und hat eine Leistung von immerhin 20 PS!

Ein Superlativ der etwas anderen Art ist die am Vareler Hafen gelegene Kneipe Up'n Prüfstand, die bis zum Beweis des Gegenteils als kleinste Kneipe Deutschlands gilt. Auf einer kuschelig-gemütlichen Fläche  von 4,5 Quadratmetern kann man hier stehend und mit eng begrenzter Personenzahl in ganz besonderer Atmosphäre sein Bier genießen. Ursprünglich wurde das Häuschen als Waage für Fischmehl und Garnelen errichtet. Seit den 1970er Jahren diente es dann als Bremsenprüfstand für LKWs, bevor es 1991 als Kneipe zu neuem Leben erweckt wurde.

Raus in die Natur
Wer lieber an der frischen Luft ist und dort nach einzigartigen Friesland-Momenten sucht, für den empfiehlt sich ein Ausflug ans Ewige Meer. Das Gewässer liegt 8 Meter über Normalnull und ist mit einer Wasserfläche von 89,2 Hektar der größte Hochmoorsee Deutschlands. Neben Eidechsen kann man hier mit etwas Glück sogar die äußerst selten gewordene Kreuzotter entdecken. Natur pur bietet außerdem natürlich die friesische Nordseeküste. Fast die gesamte Fläche ist seit 1986 als Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, seit 1992 als UNESCO Biosphärenreservat und seit 2009 als UNESCO Weltnaturerbe geschützt. Imposant ist dabei nicht zuletzt die Größe von 345.000 Hektar, die das Niedersächsische Wattenmeer zum zweitgrößten deutschen Nationalpark nach dem Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer machen.


Unterwegs mit einem PS: Die Spiekerooger Museumspferdebahn.

Zu den faszinierendsten Erlebnissen auf einer der Inseln zählt übrigens eine Fahrt mit der historischen Museumspferdebahn auf Spiekeroog, der bundesweit einzigen Eisenbahn, die noch von Pferden gezogen wird. Die 15-minütige Strecke verbindet den ehemaligen Bahnhof mit dem Strand am Westend und nutzt dabei die alte Schienenverbindung aus dem Jahr 1886, die seinerzeit von der Dorfmitte zum damaligen Herrenbadestrand im Westen fuhr. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Strecke zunächst mit einer Diesellok befahren, seit 1981 rollt aber wieder der historische Pferdebahnwagen mit seinen 16 Sitzplätzen. Die Urlauber wissen das urige Gefährt zu schätzen und genießen die romantisch-beschauliche Überfahrt. Und hinterher sind sie sich dann meistens ganz sicher: Mehr Ostfriesland geht eigentlich nicht!


Bildnachweis:
Titelbild "Leuchtturm im Abendlicht": Thomas Marx/shutterstock.com
Bild "Teetasse": andrea lehmkuhl/shutterstock.com

Bild "Brücke Amdorf": Marc Dallek
Bild "Kirche Suurhusen": Bildagentur Zoonar GmbH/shutterstock.com

Bild "Museumspferdebahn": suehling/shutterstock.com

Robert Uhde

von Düsseldorf nach Oldenburg
Von Düsseldorf nach...: ...Oldenburg
Wie alles begann oder wo sind Ihre beruflichen Wurzeln?: Ich habe Kunst und Germanistik studiert.
Und heute?: ...arbeite ich seit 1997 als freier Journalist. In meiner Freizeit bin ich viel mit dem Fahrrad unterwegs, spiele Gitarre in meiner Band JazzCycle.
Bildnachweis/Portrait: Feindesign, Daniel Penschuck

Robert Uhde

von Düsseldorf nach Oldenburg
Von Düsseldorf nach...: ...Oldenburg
Wie alles begann oder wo sind Ihre beruflichen Wurzeln?: Ich habe Kunst und Germanistik studiert.
Und heute?: ...arbeite ich seit 1997 als freier Journalist. In meiner Freizeit bin ich viel mit dem Fahrrad unterwegs, spiele Gitarre in meiner Band JazzCycle.
Bildnachweis/Portrait: Feindesign, Daniel Penschuck
← zum vorherigen Artikel zum nächsten Artikel →
0 Kommentar(e)
Newsletter