Der Küstenschutz und die Süßwasserlinse
Küstenschutz in Deutschlands zweitgrößtem Nationalpark muss naturgemäß einen Widerspruch harmonisieren: Einerseits gilt es, so viel Natur wie möglich zu zulassen, andererseits können die Küstenlinie und die Inseln nicht schutzlos der zerstörerischen Gewalt der Nordseesturmfluten preisgegeben werden. Die Insel Langeoog ist ein gutes Beispiel dafür wie naturnahe ingenieurbiologische Maßnahmen Lebensraum für menschliche wie tierische Bewohner des Wattenmeers gleichermaßen bewahren können.
Langeoog ist wie alle Ostfriesischen Inseln ein dynamischer Naturraum, der im Wechsel der Gezeiten einem stetigem Wandel unterworfen ist. Die Tideströmung und der Wind bewegen den Sand unter wie über der Meeresoberfläche ständig und verändern so Strand und Dünen. Die vorherrschende westliche Wind- und Wellenrichtung bewegt große Mengen Sand Richtung Osten. Zwischen den Inseln strömt durch die sogenannten Seegaten die Tide. Im relativ schmalen Durchlass zwischen Baltrum und Langeoog schiebt die starke Ebbströmung des ablaufenden Wassers große Mengen Sand nach Norden und formt dort einen Riffbogen. Dieses sich natürlich auffüllende Depot gibt dem Küstenschutz auf Langeoog eine einzigartige Möglichkeit.
Sandstrand statt Wellenbrecher
Langeoog ist die einzige der sieben Ostfriesischen Inseln, die ihren langen Nordstrand weder durch Steineinbauten noch durch Pfahldunen oder andere massive Baumaßnahmen schützen muss. Sofern der natürliche Sandzuwachs am Strand nicht ausreicht, kann dem Riffdepot über einen schwimmenden Saugbagger und eine Rohrleitung Sand entnommen werden, um der natürlichen Sandaufspülung nachzuhelfen. Die Entnahmestelle vor dem Flinthörn regeneriert sich auf natürliche Weise wieder und der Strand vor der Dünenkette behält eine stabile Breite.
Dünen statt Deiche als Trinkwasserschutz
Diese Dünenkette zwischen Nordstrand und Pirolatal hat auf Langeoog eine lebenswichtige Schutzfunktion: Denn gleich hinter den Dünen befindet sich eine sogenannte Süßwasserlinse. Gespeist aus dem versickernden Niederschlagswasser schwimmt dieses kostbare Grundwasser umhüllt von einer Mischwasserzone auf dem schwereren, dichteren Salzwasser. Alles Trinkwasser für die Insel mit seinen Bewohnern und Gästen stammt aus diesem natürlichen Grundwasservorkommen, einen Anschluss ans Trinkwassernetz des Festlandes gibt es nicht. 17 Brunnen fördern das Süßwasser aus einer Tiefe von fünf bis 22 Metern zur Aufbereitung ins Wasserwerk. Ein rund 30 km langes Rohrleitungsnetz versorgt von dort aus die etwa 1.000 Haushalte und Betriebe der Insel. Eine Herausforderung dabei: Genügen an einem mittleren Wintertag 300.000 Liter Trinkwasser, sind es an einem heißen Sommertag 1,7 Millionen Liter! Süßwasser ist auf unseren Inseln kostbar.
Schematische Darstellung der Süßwasserlinse
Dünenschutz für die Schutzdünen
Langeoogs natürliches Süßwasservorkommen ist lebenswichtig und schutzbedürftig. Zum einen ist bei so oberflächennahem Grundwasser der Schutz gegen jegliche Schadeinträge im Trinkwassergewinnungsgebiet ganz unerlässlich. Vor allem aber muss auf den natürlichen Dünenschutzwall gegen Sturmfluten Verlass sein. Würde eine Flut die Dünenkette durchbrechen und ins Pirolatal eindringen, so verdürbe sie mit einsickerndem Salzwasser den Süßwasservorrat auf unabsehbare Zeit. Deshalb werden die Schutzdünen seeseitig durch die beschriebenen Strandaufspülungen geschützt und am Dünenfuß durch Sandfangzäune verstärkt. Bei dieser uralten „Building with Nature“ Technik werden von der Dünenkette nach Norden abgehende Strauchwerkreihen angelegt. In diesen Ausfachungen fängt sich der vom Westwind herangetragene Sand, sodass die Düne von ihrer Basis her wächst. Um den so gewonnen Sandzuwachs zu sichern, wird er mit Strandhafer und anderen Pionierpflanzen wie Strandquecke und Meersenf bepflanzt.
Nachhaltig mit Sand gebaut
Auf Langeoog hat der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) zwischen 1997 und 2000 sowie erneut 2007 neben diesen immer wieder anstehenden Dünen- und damit zugleich Trinkwasserschutzmaßnahmen eine weitere, ungewöhnlichere Technik anwenden müssen: Die Verstärkung der Dünenkette durch rückwärtigen Sandeinbau vom Pirolatal aus. Statt der erforderlichen Breite von mindesten 60 Metern, maß die Schutzdünenkette an den schwächsten Stellen nur mehr 20 Meter. Bei dieser massiven künstlichen Verstärkung der Dünen wurde auf eine naturnahe Böschungsprofilierung geachtet, sodass die neugeschaffenen Dünen sich landschaftgerecht einfügen. Gegen Sandflug sind sie mit Strandhaferbepflanzung, dem sogenannten Helm, gesichert.
Nachhaltiger Dünenschutz ist immer auch Naturschutz, denn die Dünen sind neben dem Watt und den Salzwiesen einer der drei charakteristischen Lebensräume des Nationlparks Wattenmeer.
Dünen als wertvoller Lebensraum
Zusammengehalten durch tiefwurzelnde und -sprossende Pflanzen bieten Dünen nicht nur natürlichen Schutz gegen Überflutung, sondern sie bilden einen Lebensraum für viele zum Teil seltene Tierarten des Wattenmeers. So brütet und jagd hier unsere einzige tagaktive Eulenart, die Sumpfohreule. Brandgänse haben ihre Bruthählen in den Dünen. Dort, wo Röhrichtbestände am Fuße der Dünen oberflächennahes Süßwasser anzeigen, ist das Revier der Rohrweihe. Auch für Kornweihen sind die Ostfriesischen Inseln ein wichtiges Rückzugsgebiet, diese Greifvogelart überwintert auch dort. Eine besondere Kostbarkeit auf Langeoog ist die dortige Zwergseeschwalbenkolonie. In jüngster Zeit taucht auch die noch seltenere Lachseeschwalbe dort auf! Erfreulich auch, dass wieder vermehrt Bruterfolge beim Sandregenpfeiffer verzeichnet werden konnten. Das Respektieren der Schutzgebiete und Wegegebote ist für solche positiven Entwicklungen unerlässlich.
Die Aussichtsdüne Melkhörn bietet einen grandiosen Überblick über die Schutzdünenkette vor dem Pirolatal und die sich bis zum Ostende erstreckende Dünenlandschaft. Während der Brutzeit (Mitte April bis August) gewährt sie auch Einblick (Fernglas!) in die Kolonie der Silber- und Heringsmöwen.
Blühende Wiesen zwischen Land und Meer
An der Wattseite schützen der Flinthörn- und Osterdeich Langeoog. Die im Inselsüden liegenden Salzwiesen bilden einen weiteren typischen Lebensraum des Nationalparks. Sie entstehen aus Sedimentablagerungen vor den Deichen als nur noch unregelmäßig überspülte Flächen zwischen Land und Meer. Sie sind der Lebensraum für hochspezialisierte, salztolerante Pflanzen- und Insektengemeinschaften. Strandgrasnelke und Strandflieder setzen mit ihren Blüten Farbakzente. Auch brüten hier Charaktervögel der Nordseeküste wie Austernfischer, Rotschenkel u. a. Seit einiger Zeit findet sich auf Langeoog in den Salzwiesen vorm Vogelwärterhaus auch alljährliche eine Kolonie der exotisch wirkenden Löffler ein: wohl infolge der Renaturierung von 218 ha Salzwiesen durch die Öffnung des alten Sommerdeichs. Die Wiesen werden jetzt wieder häufiger überspült. Der vorhandene Weg zur Meierei ist als neuer Sommerdeich ausgebaut worden. Ein weiteres gelungenes Beispiel für einen ökologischen, naturverträglichen Küstenschutz auf der autofreien Insel Langeoog.
Ein Löffler in den Langeooger Salzwiesen
Der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer
Er wurde 1986 gegründet und ist seit 2009 als UNESCO-Weltnaturerbe anerkannt. Mit 3.450 km2 Fläche ist er der zweitgrößte deutsche Nationalpark (größer ist mit 4.410 Quadratkilometern nur der Schleswig-Holsteinische NPW). Als zentraler Rastplatz des ostatlantischen Vogelzuges ist er auch international von herausragender Bedeutung: Bis zu zwölf Millionen Vögel kommen Jahr für Jahr hierher.
Im Infohaus „Altes Wasserwerk“ wird die besondere Wasserversorgung der Insel aus ihrer Süßwasserlinse anschaulich erklärt. Außen ist ein kurzer Lehrpfad zum Dünen- und Küstenschutz angelegt.
Bildnachweis:
Titelbild "Nordsee": Alex Stemmer/shutterstock.com
Grafik "Süsswasserlinse": OOWV
Bild "Löffler": RealityImages/shutterstock.com
Bild "Infohaus altes Wasserwerk": Marc Dallek