Moor: der unterschätzte Ökoschatz!
Dass Moore als Ökosystem und Lebensraum für bestimmte Tier- und Pflanzenarten von einem gewissen – und sei es schaurig schönem – Reiz sind, ist seit mehr als 100 Jahren bekannt. Ihre immense Bedeutung als Kohlenstoff- und Wasserspeicher rückt aber erst jetzt in der Klimakrise in den Blick. Um die Dimension zu verdeutlichen: Moore bedecken weltweit nur etwa vier Prozent der Landfläche, aber sie binden rund doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen!
Wermutstropfen: Nur naturnahe, nasse Moore mit Torfwachstum können die fantastischen „Ökodienstleistungen“ als CO2-Senken, Wasserfilter und -speicher, der wertvolle Niederschläge in der Landschaft hält, erbringen. Und da sieht es in Deutschland leider schlecht aus:
- Nur noch 2 Prozent unserer Moore sind naturnah erhalten,
- 4 Prozent sind wiedervernässt restauriert,
- aber 94 Prozent unserer Moore sind entwässert.
Diese Moorböden werden zumeist land- oder forstwirtschaftlich genutzt. Bei uns im Nordwesten vorwiegend als Grünland für Milchvieh. Aber auch Kartoffeläcker und Maisfelder sind auf Moorböden entstanden.
Was soll an dieser herkulischen Kultivierungsleistung verkehrt sein? Nirgends in Deutschland wurde sie eindrucksvoller bewältigt als beispielsweise im Emsland, wo das größte zusammenhängende Hochmoor Mitteleuropas urbar gemacht wurde.
Entwässerte Moore: heimliche Klimakiller
Das Problem: Ähnlich wie auftauende Permafrostböden oder brennende Wälder verlieren trockengelegte Moore nicht bloß ihre Funktion als klimaentlastende CO2-Speicher, sondern sie werden ihrerseits zu Emittenten (Ausstoßern) von Klimagasen und heizen die Erderwärmung weiter an, indem sie den dafür ursächlichen Treibhauseffekt verstärken. Die Klimakrise beschleunigt sich selbst.
Seit kaum mehr als 15 Jahren ist dieser Effekt wissenschaftlich erkannt und beschrieben. Er gibt dem Moorschutz eine weit über Naturschutzziele hinausgehende Dimension. Der in der öffentlichen Wahrnehmung noch eher unbekannte Effekt der Treibhausgasemission aus trockenen Moorböden beruht auf einer biochemischen Reaktion: Torfoxidation.
Wenn der Boden sich in Luft auflöst
Der im Torf gespeicherte Kohlenstoff oxidiert, wenn er im entwässerten Boden an die Luft gelangt: Er verbindet sich mit Sauerstoff zu CO2. Es gleicht einer unsichtbaren Verbrennung, die heute allerdings sehr wohl gemessen wird. Je nach Nutzungsart entstehen Flächenemissionen von etwa 30 bis 40 Tonnen CO2-Äquivalent pro Hektar/a. Torf ist ein fossiler Brennstoff, auch wenn auf ihm keine Dinos, sondern die Mammuts der letzten Eiszeit herumgetrampelt sind. Das Entwässern von Mooren ähnelt so dem Verbrennen von Kohle, Erdöl und -gas. Etwa 1 Zentimeter Torf pro Jahr verlieren entwässerte Moore in unseren Breiten durch diese „heimliche Verbrennung.“
Infotafel des Lehrpfads Molberger Dose
Nach nur 2 Generationen 2 Meter an Boden verloren
Die deutlichen Moorsackungen, die früher einfach auf den Wasserentzug zurückgeführt wurden, machen die unsichtbare „Verbrennung“ sichtbar. Entwässerte Moore verlieren deutlich an Boden. Ein Beispiel aus dem Ipweger Moor in der Wesermarsch vor den Toren Oldenburgs:
„Mannshoch liegt der Horizont des alten Moorgebiets über dem Niveau des seit der Mitte des letzten Jahrhunderts bewirtschafteten Grünlands. In kaum mehr als 50 Jahren ist das ursprüngliche Torfmoor hier um zwei Meter geschrumpft. Zum Vergleich: Die Torfmoose brauchten circa 2000 Jahre, um auf diese Höhe zu wachsen.“*
Statt als CO2-Senke zu wirken, setzt das degradierte (zerstörte/entwertete) Ökosystem den über Jahrtausende gebundenen Kohlenstoff frei und verstärkt damit den anthropogenen (durch Menschen verursachten) Treibhauseffekt, der die zunehmende Erderwärmung verursacht.
*Kay Fuhrmann, Klaus Hinsch, Horst Lebensteiner, Silke Lorenz, Kerstin Menke, Horst Vollstaedt: Die Vögel des Ipweger Moores. Ein Oldenburger Moor und seine Vogelwelt im Wandel. Rastede, 2020, S.8f
… und aus dem Torfmoos (Sphagnum spec.) sprießt die Sumpfscalla. Wo Restmoore wie die Gellener Torfmöörte, ein Teil des Ipweger Moors, nass sein dürfen, blüht das Leben.
53 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr!
Die Menge der aus den entwässerten Torfböden entweichenden Treibhausgase ist beträchtlich. Um alle am Treibhauseffekt beteiligten Gase (z. B. auch Lachgas und Methan/Sumpfgas) entsprechend ihrer unterschiedlich starken Wirkung auf einen Nenner zu bringen, rechnet man sie in „CO2-Äquivalent“ um. Resultat: „Diese Emissionen beliefen sich in 2020 auf rund 53 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente, ein Anteil von etwa 7,5 Prozent der gesamten nationalen Treibhausgas-Emissionen.“*
Davon ließen sich bis zu 40 Millionen durch Wiedervernässung einsparen. „Das entspricht in etwa der Hälfte des CO2-Ausstoßes der gesamten Industrie in Deutschland.“**
Das Problem hat also eine so relevante Dimension, das Ignorieren keine Option ist. Gleich zwei Papiere des Bundesumweltministeriums berechtigen zu der Annahme, dass dies auch in der Politik angekommen ist: zum einen die „Nationale Wasserstrategie“ (15. März 2023) und mehr noch das „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ (ANK, Kabinettsbeschluss vom 29. März 2023)
* Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK), S. 10
**F. Tanneberger, V. Schroeder, Das Moor, München 2023, S. 193
Nationale Wasserstrategie: naturnaher Wasserhaushalt
Eines der zentralen Ziele der Wasserstrategie ist besonders gut mit den Wünschen der Moorforscher*innen zur Deckung zu bringen: einen naturnahen Wasserhaushalt wiederherzustellen und die Wasserwirtschaft klimaresilient zu machen*. Hinzu kommt eines der wichtigsten zehn strategischen Themen: die „Gewässerverträgliche und klimaangepasste Flächennutzung im ländlichen und urbanen Raum realisieren.“*
Eine klimaangepasste Flächennutzung im ländlichen Raum zugunsten eines naturnahen Wasserhaushalts ist ohne Wiedervernässung nicht zu haben. Ein nasses Moor ist das perfekte Biomodell für das Schwamm-Prinzip, das uns in der Klimakrise helfen kann. Torfmoose können das 20-fache ihrer eigenen Masse an Wasser speichern! Effizienter lässt sich Wasser nicht in der Fläche halten. Und genau das ist eine der neuen Herausforderungen, vor denen Wassermanagement heute steht.
*Vgl. Nationale Wasserstrategie. „Klimaresilient“ bedeutet: Widerständig gegen die Folgen der Erderwärmung wie hierzulande etwa längere Trockenperioden und häufigere Starkregen
Wiedervernässte Moorfläche mit dem typischen Wollgras, Moorbirken und Moorheide an den weniger nassen Stellen.
Wir müssen lernen, das Wasser zu halten!
„Nasses Land = nutz- und wertloses Land, trockenes Land = nutz- und kostbares Land“: Einfache Gleichungen, die über Jahrhunderte, zumal im regenreichen Nordwesten, ihre Berechtigung hatten, gelten so nicht mehr. Früher lautete die Maxime für Stadt und Land, Wasser möglichst rasch aus den Flächen abzuleiten. Heute brauchen wir angesichts von Hitze- und Trockenperioden Konzepte für das Gegenteil: Wasser in den Flächen zu halten!
Andere Niederschlagsverteilung – anderes Wassermanagement
In unserem natürlichen Wasserkreislauf kann das Wasser nicht einfach verschwinden, aber die Niederschläge verteilen sich durch die zunehmende Erderwärmung anders: Dürre und Starkregen, im Sommer wochenlang kein Tropfen, dann Sommergewitter mit extremen Starkregen-Entladungen. Weil sich zudem Niederschläge zunehmend vom Sommer in den Winter verlagern und damit in der Vegetationsperiode für das Wachstum der Pflanzen fehlen werden, muss Wasser gespeichert werden, statt sofort über Gräben und Kanäle in Richtung Nordsee zu fließen. Das dient auch der dringend benötigten Neubildung von Grundwasser.
Süßwasserbedarf eines Jahrzehnts: ab ins Meer?
Gegenwärtig pumpen wir bei uns im Nordwesten Jahr für Jahr 900 Millionen Kubikmeter Süßwasser über unsere Entwässerungssysteme möglichst fix in die Nordsee. Das ist mehr Wasser als der OOWV in elf Jahren in seinen 15 Wasserwerken für seine Abnehmer fördert (derzeit rund 220.000 m3/Tag)! Hier ist Umdenken dringend geboten.
Diverse Froschlurche sind naturgemäß Fans von nassen Mooren
Aktionsprogramm fordert großflächige Wiedervernässung
„Mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) will die Bundesregierung entscheidend dazu beitragen, den allgemeinen Zustand der Ökosysteme in Deutschland deutlich zu verbessern und so ihre Resilienz und ihre Klimaschutzleistung zu stärken.“*
Als erstes Handlungsfeld benennt das ANK den „Schutz intakter Moore und Wiedervernässungen“. Denn: „Neben den erheblichen Emissionen bedeutet die Entwässerung eines Moores auch den Verlust der dort heimischen Tier- und Pflanzenwelt und der ausgleichenden Wirkung im Wasserhaushalt.“*
*ANK, S.4
Libellen leben als räuberische Larven im Wasser und werden dann zu Insektenjägern der Lüfte – und Leibspeise des Baumfalken. Das Moor ist der Lebensraum vieler Spezialisten: Hier eine männliche Hufeisenazurjungfer auf Glockenheide. Foto: Prof. Dr. Lothar Wierschowski
Ziel: jährlich 5 Mio. Tonnen Treibhausgas einsparen
Weil in Deutschland fast kein Moor mehr übrig ist, das entwässert werden könnte, gilt: „Der größte Handlungsbedarf beim Moorschutz besteht in der Wiedervernässung von derzeit entwässerten, land- und forstwirtschaftlich genutzten Moorböden.“* Das Ziel ist ebenfalls definiert: Die jährlichen Emissionen aus trocken gelegten Moorböden sollen bis zum Jahr 2030 um 5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduziert werden. Das ist nur durch großflächige Wiedervernässung möglich.
*ANK, S.9ff
Wiedervernässtes Hochmoor mit Pfeifengras und immer wieder aufkommender Verbuschung.
Freiwillig tun, was nottut
Im ANK steht nicht, wie groß „großflächig“ ist, der „Mooratlas“** weist eine wiederzuvernässende Fläche von 50.000 Hektar/a aus. Das klingt ambitioniert, zumal Wiedervernässungen auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit basieren sollen und aktuell tatsächlich nur 2.000 Hektar wiedervernässt werden. Eine land- oder forstwirtschaftliche Bewirtschaftung der Flächen soll auch bei angehobenen Wasserständen mit neuen Nutzungskonzepten weiterhin möglich sein und gefördert werden.“*
*ANK, S.10
** Mooratlas, S.46
Nasses Land braucht neue Nutzungskonzepte
Es geht also bei der Restaurierung von Mooren und der Wiedervernässung von Torfböden nicht allein darum, die Ökosystemleistungen für den Landschaftswasserhaushalt und den Klimaschutz zurückzugewinnen. Auf einem Großteil der Flächen wirtschaften Eigentümer, denen eine ökonomische Perspektiver gegeben werden muss.
Mit „Paludikultur“ gibt es immerhin schon ein neues Wort (lat. Palus, Gen. paludis = Sumpf) für das Bewirtschaften nasser Torfflächen ohne Torfabbau. Ein Thema, auf das ich gelegentlich gern zurückkommen werde. Im ANK sollen solche neuartigen Konzepte für eine „standortangepasste, nasse Nutzung“ gefördert werden. Ebenso sind Förderanreize für innovative Photovoltaik-Konzepte auf wiedervernässten bzw. wiederzuvernässenden Moorbodenstandorten vorgesehen. Ausgestattet ist das ANK mit vier Milliarden Euro.
Wiedervernässung und Paludikulturen sind also komplexe Zukunftsthemen, hier zunächst zwei weiterführende Hinweise:
1. MOORATLAS, Daten und Fakten zu nassen Klimaschützern
Hg.: Heinrich Böll Stiftung, BUND, Succow Stiftung, Geifswald Moor Centrum, 2023
Mooratlas im Web, alle Beiträge + Erklärfilm (4:40 Min.):
https://www.boell.de/de/mooratlas
plus 3-teiliger Podcast (jeweils gut 25 Min.):
https://www.boell.de/de/media/audio/mooratlas-von-schurken-und-helden-13
2. Lektüre-Tipp: „Das Moor“
In diesem Jahr frisch erschienen ist genau das richtige Buch für alle, die sich über den aktuellen Stand der Moorforschung einen grundsoliden Überblick verschaffen möchten.
Dr. Franziska Tanneberger, Leiterin des renommierten Greifswalder Moor Centrums, und Vera Schroeder, Wissenschaftsjournalistin der Süddeutschen, bilden ein Autorinnen-Duo, das in sehr lesbarer, für Laien verständliche Weise das komplexe Ökosystem und seine immense Bedeutung erklären: „Über eine faszinierende Welt zwischen Wasser und Land und warum sie für unser Klima so wichtig ist“, lautet der Untertitel.
In sechs Kapiteln schaffen es die Verfasserinnen von den Grundlagen der Entstehung über „Die Weltkarte der Moore“, ihre Geschichte in Deutschland bis hin zu den drängenden Zukunftsthemen Wiedervernässung und Paludikultur alle bedeutenden Aspekte des so lange unterschätzten Themas zu beleuchten.
Das abschließende siebte Kapitel ist ein dringender Appell für „Eine Moorwende für die Zukunft“ mit acht Handlungsempfehlungen, wie eine solche gelingen kann.
Wege ins Moor
Nach so viel grauer Theorie zwei Tipps für Ausflüge ins Grüne, bei denen Sie sich auf Moorlehrpfaden ein eigenes Bild machen können:
Durch diesen sekundären Moorbirkenwald führt der Lehrpfad Gellener Tormöörte. Im Frühjahr blühen dort Felsenbirnen.
Moorlehrpfad Gellener Torfmöörte
Der Parkplatz, an dem der Lehrpfad beginnt, liegt am Gellener Damm.
Hier beginnt der Lehrpfad Gellener Torfmöörte.
Eine Holztafel weist drei Rundwege aus. Es lohnt sich die längere Variante 3 zu nehmen, weil sie als einzige zu den „Fischteichen“ bzw. daran vorbei führt. Ein Abstecher lohnt schon wegen der hübschen Rastplätzchen dort.
Einer der über Wegvariante 3 erreichbaren Mohrweiher. Mit Glück lässt sich hier eine Kreuzotter entdecken.
Nicht ganz gelungen ist das letzte Stück des Rundwegs: Man läuft auf der, allerdings wenig befahrenen, Teerstraße Gellener Damm zurück zum Parkplatz.
Das NSG Gellener Torfmöörte ist 142 Hektor groß und besteht aus Restflächen eines Hoch- und Übergangsmoors des niedersächsischen Marschgebiets. Es gehört zum Ipweger Moor, mit seinen 182 festgestellten Vogelarten*.
An den Teichen und in den Wasser führenden Gräben ist das reiche Vorkommen an Sumpfcalla bemerkenswert.
*Kay Fuhrmann, Klaus Hinsch, Horst Lebensteiner, Silke Lorenz, Kerstin Menke, Horst Vollstaedt: Die Vögel des Ipweger Moores. Ein Oldenburger Moor und seine Vogelwelt im Wandel. Rastede, 2020, S.8f
Erlebnispfad Molberger Dose
Das gut 600 Hektar großen Naturschutzgebiet (NSG) „Molberger Dose“ liegt rund 9 Kilometer südwestlich des beliebten Naherholungsgebiets Thülsfelder Talsperre.
Hier geht’s los: Der sehr empfehlenswerte Weg wird erstaunlich schwach frequentiert. Wahrscheinlich, weil die meisten Naturfreunde zur nahen Thülsfelder Talsperre strömen.
Am Parkplatz Moorlehr- und Erlebnispfad Molberger Dose startet der Dausenmoorpad, ein 3 Kilometer langer Rundwanderweg durch eine Hochmoorlandschaft. Fünfzehn Stationen informieren über die Moorlandschaft.
Vom Parkplatz aus startet man gegen den Uhrzeigersinn, indem man ein kurzes Stück auf der Zuwegung zurückläuft. Der Weg ist mit dem Symbol „Lilli Libelle“ markiert und kaum zu verfehlen.
Es geht zunächst vorbei an landwirtschaftlich genutzten Flächen, sehr bald durch einen Moorbirkenwald und schließlich vorbei an wiedervernässten Flächen. Eine Aussichtplattform mit Sitzbank gewährt dort buchstäblich sowie mit weiteren Infos einen guten Überblick.
Seit 1988 darf das Hochmoor hier wieder nass sein.
Schon mal Moor gehört?
Hier gibt es den Erlebnispfad Molberger Dose zum hören: Alle einzelnen Stationen werden von unserer Autorin Nora Kelschebach persönlich vorgestellt. Viel Spaß bei diesem ungewöhnlichen Moorspaziergang!