Naturkatastrophenfilme - Realität und Fiktion so nah beieinander.
Fluten, Brände, Viren: In den Nachrichten sehen wir Szenen, die wirken, als stammten sie aus einem Katastrophenfilm. Und manche Szenen aus Filmen fühlen sich inzwischen beklemmend real an. Wie weit sind Filme über Naturkatastrophen von der Realität entfernt?
Eine Jahrhundert-Dürre und Waldbrände in Europa, ein rätselhaftes Fischsterben in der Oder, Flutkatastrophe in Pakistan - der Sommer 2022 fühlt sich stellenweise an wie ein Dokumentarfilm zum Thema Naturkatastrophen. Als dramatischer Aufhänger für einen Katastrophenfilm würden die Zustände an vielen Orten der Welt derzeit jedenfalls passen. Katastrophen faszinieren Filmemacher und das Publikum seit jeher. Von A-Z , von „Aftershock“ bis „Zwei Minuten Warnung“ listet Wikipedia allein 254 Katastrophenfilme auf. In den Streifen aus aller Welt geht es um den Einschlag von Meteoren, um Fluten, Brände, um Vulkanausbrüche oder rätselhafte Seuchen, die die ganze Menschheit zu vernichten drohen. Der Katastrophenfilm, auch Desasterfilm gennant, hat als Rahmenhandlung ein allumfassendes Unglück: Dystopien über radikalisierte gesellschaftliche Zustände, Endzeitfilme mit apokalyptischen Zerstörungen und drohende Weltuntergangsszenarien. Gemeinsam ist all diesen Filmen, dass sich in dieser Rahmenhandlung ein einzelner Mensch oder eine Gruppe beweisen muss, und am Ende zwar nicht immer, aber doch oft, alles wieder irgendwie gut wird. Den Helden sei Dank. Das Leben geht weiter.
Inszeniert wird der Plot meist recht stereotyp: Eine archaische Zerstörungsorgie soll dem Zuschauer zunächst ein möglichst großes Gruseln in die Seele peitschen. Held (in den Anfängen der Filmgeschichte männlich, später kamen sehr weibliche Heldinnen hinzu) wächst angesichts der übermächtigen Bedrohung über sich selbst hinaus. Nach vielen Abenteuern und Aufregungen gibt es dann meist ein Happy End.
Seit den 1990er Jahren ermöglichen digitale Filmeffekte sehr bildintensive Explosionen und Zerstörungen, die kaum noch Wünsche offen lassen. Apokalypsenfilme sind zumeist in einer zukünftigen, durch eine globale Katastrophe vollständig veränderten, Welt verortet. In Dystopien werden häufig Staaten dargestellt, die von Armut, Diktatur, Gewalt, Krankheit, Hunger oder extremer Umweltverschmutzung geprägt sind. Sie zeigen Staaten, in denen die Regierung versucht, absolute Kontrolle über das freie Denken und die Lebensweise ihrer Bürger zu bekommen.
Hier wird schon klar: In manchen Teilen der Welt ist das längst Realität. Auch wenn die Filme überzeichnen, sind kriegszerstörte Städte ohne ein funktionieren Staats- und Gesellschaftssystem an vielen Orten der Erde normaler Alltag.
Aber es gibt noch mehr Ähnlichkeiten zum echten Leben: Katastrophenfilme wie Armageddon oder The Day After Tomorrow gelten als klassisches „Popcornkino“, bei dem die Zuschauer sich extrem gruseln soll. Doch angesichts der verheerenden Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, der anhaltenden Pandemie und des Klimawandels samt Dürre, leerer Flussbetten und Ernteausfällen dürfte seit einiger Jahren auch in Deutschland manchem Zuschauer Popcorn und Cola im Halse stecken bleiben. Solche Katastrophen sind inzwischen sehr nah an uns herangerückt.
Die Muster in den Filmen sind ähnlich: erste Anzeichen einer beginnenden Katastrophe brechen in den normalen Alltag ein: Das Wetter entwickelt sich seltsam, Messergebnisse entwickeln sich eigenartig, Wissenschaftlerinnen warnen vor Gefahren, doch keiner hört hin. Dann tritt die Katastrophe ein. Im Anschluss daran folgt der umfangreichste Teil: der Versuch zu retten, was noch zu retten ist.
The Day After Tomorrow
Dass Katastrophenfilme mehr als Unterhaltung bieten können, zeigt das Beispiel von Roland Emmerichs Blockbuster The Day After Tomorrow von 2004. In dem Thriller leitet der durch Treibhausgase und Umweltverschmutzung verursachte Klimawandel eine neue Eiszeit ein; eine riesige Flutwelle bricht über New York herein. Die Welt wird von einer Eisdecke bedeckt. Der Film hat es geschafft, die Diskussion über den Klimawandel, seine Bedrohungen und das menschliche und politische Verhalten in Gang zu bringen. Er führte uns als Zuschauer vor Augen, was passieren kann, wenn die Menschheit nichts an ihrem umweltschädlichen Verhalten ändert. Und dass es passieren wird, ist mittlerweile in der Realität an vielen Stellen unübersehbar geworden.
Noah
Zweites Beispiel: In Zeiten der drohenden Klimakatastrophe ist die Flut zum Symbol des Untergangs geworden. In Darren Aronofskys Noah ist Russell Crowe neben Emma Watson und Anthony Hopkins der Held, der eine Arche baut. Die Popularität des Weltuntergansszenarios Sintflut hat auch damit zu tun, dass sie mit Noah in seiner Arche den Prototyp des Überlebenden zeigt. Eines zudem, der sich nicht nur um sich selbst kümmert. Zwar ist uns bislang eine globale Flutkatastrophe biblischen Ausmaßes erspart geblieben. Doch punktuell, regional ist das, was Menschen in den Fluten erleben und ertragen müssen, das Sterben, die Verletzungen, die Zerstörungen sehr real. Wie gerade in Pakistan, wo im Sommer 2022 jetzt schon über 1000 Menschen in den Fluten starben, zehntausende Häuser zerstört wurden und gut ein Drittel der Staatsfläche unter Wasser steht. Es sei wie eine Realität gewordene Dystopie verkündete die pakistanische Klimaministerin Sherry Rehman.
Setzt man sich etwas tiefer mit den spektakulär in Szene gesetzten Katastrophen im Film auseinander, merkt man: Die Ereignisse unterscheiden in ihrem Realitätsgrad deutlich, im Prinzip aber sind die in kleinerem Maßstab absolut möglich. Die französische Metropole Paris, die nur knapp über dem Meeresspiegel liegt (wie übrigens auch Oldenburg) könnte tatsächlich einmal komplett unter Wasser stehen, wenn die Polarkappen weiter abschmelzen und der Meeresspiegel steigt. Auch Megafluten nach einem Tsunami sind vorstellbar, das wissen wir längst.
Deep impact, Meteor, Armageddon - Das Meteoriten-Szenario
Drittes Beispiel: Ein weiteres in Filmen beliebtes Szenario ist der Meteorit: „Deep impact“, „Meteor“, „Armageddon“ - überall wird die Erde von Meteoriten bedroht. Auch das ist uns bislang im globalen Ausmaß erspart geblieben, nur kleinere Einschläge sorgten für regionale Zerstörungen und das Aussterben der Dinosaurier. Doch ist die Bedrohung real: Ab einem Kilometer Durchmesser würde ein Einschlag auf der Erde zum Weltuntergangsszenario. Und das kann rein theoretisch schon nächste Woche passieren. Zwar beobachten Forscher weltweit die um uns herumschwirrenden Asteroiden genau und entwickeln in Ansätzen schon Ideen und Technik zur Meteoriten-Abwehr. Doch ob und wie die in der Realität tatsächlich funktionieren und die Menschheit vor der globalen Katastrophe bewahren könnten, steht im buchstäblichen Sinne des Wortes noch in den Sternen. Hier kann die Katastrophe sehr kurzfristig wahr werden, ganz ohne menschliches Zutun.
Viele Katastrophenfilme appellieren an die ökologische Empfindsamkeit und Einsicht der Zuschauer. Was wir am Ende daraus machen und wie weit das im Kino Gesehene und zum Teil ja auch schon Miterlebte unser Handeln im Alltag zu verändern mag, liegt dann im wahrsten Sinne des Wortes in unsere Hand. Und das ist am Ende das Wichtigste, was wir aus diesen Kinoereignissen mitnehmen können: die Aufforderung, selbst etwas dagegen zu tun, dass die Katastrophe eintritt. Jede und Jeder in seinem Alltag. Es ist an jedem Einzelnen, in der Realität ein Stück weit selbst zum Helden zu werden, der die Welt rettet. Wenn ein Film das schaffen kann über den momentanen Thrill und Gruseleffekt hinaus, hat er einen tieferen Sinn gehabt.