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Neun Monate im ewigen Eis: Wie hält man das aus?

Noch gibt es sie, die unberührte Natur in der Antarktis. Doch der Klimawandel sorgt auch dort für eine Erwärmung, führt zu Eisverlust und bedroht den Lebensraum der Kaiserpinguine. Michael Trautmann aus Oldenburg gehört zu den wenigen Menschen, die Monate auf dem noch immer kältesten Kontinent der Erde verbracht haben – als Überwinterer in der Neumayer-Station III. Mitgebracht hat er wunderbare Erinnerungen und tausende von Fotos. 

Michael Trautmann im Porträt Michael Trautmann im Porträt

Michael Trautmann (31) stammt aus Brake und lebt in Oldenburg. Der Elektroingenieur hat 9 Monate lang in der vom Alfred-Wegener-Polarforschungsinstitut betriebenen Antarktis-Station Neumayer III überwintert. Dort hat er täglich fotografiert – vom Arbeitsalltag über Pinguinbabys bis zum nächtlichen Himmel mit Polarlichtern und Sternenhimmel. In Vorträgen berichtet er von seiner Zeit am kältesten Ende der Welt.

Herr Trautmann, haben Sie manchmal Sehnsucht nach der Antarktis? Oder sind Sie froh, dass sie jetzt wieder in wärmeren Gefilden leben und arbeiten?

Ja, ich habe auf jeden Fall Sehnsucht. Das merke ich fast jeden Tag. Ich habe eine App auf dem Handy, die mir die Polarlichter anzeigt. Das vermisse ich und die brütenden Pinguine, das ist ein Spektakel. Auch die riesige Eislandschaft. Das wird mich immer begleiten. Ich muss nicht dauerhaft im Kalten leben, aber ein Jahr lang in der Antarktis diese Extreme zu erleben, das habe ich gern gemacht. Man trägt Spezialkleidung und es ist eine trockene Kälte. Minus 20 Grad dort sind gefühlt nicht ansatzweise so kalt wie hier minus 10. Ab minus 25 Grad wird es unangenehm. Und bei minus 30 Grad denkt man schon drüber nach, ob man unbedingt noch raus muss.

Warum haben Sie sich um die Überwinterung auf der Neumayer-Station beworben? War es Abenteuerlust, Forscherdrang oder der Wunsch, weitab vom Alltag zu sein?

Ich hatte mir ein Rad gekauft und wollte eine Fahrrad-Weltreise machen. Das hatte ich schon alles geplant, den Job auch schon gekündigt. Aber dann habe ich ein Video gesehen über die Antarktis und war fasziniert. Danach wurde mir eine Stellenanzeige gezeigt: „Suchen als Überwinterer Elektroingenieur für die Neumayer-Station III“. Ich war noch nie aufgeregt, als ich eine Stellenanzeige gesehen habe, aber da schon. Ich hatte gleich so ein Kribbeln im Bauch. Ich dachte: „Ja, das ist perfekt. Da kann ich reisen und trotzdem meinen Beruf als Ingenieur ausüben.“ Ich habe gemerkt, dass die Antarktis ein Traum von mir war, von dem ich vorher nichts wusste.

Welche Erinnerungen sind Ihnen die liebsten aus der Zeit? Und woran denken sie ungern zurück?

Am liebsten denke ich an das Team an sich, das war einzigartig. Es war richtig schön zusammen und wir hatten eine coole Zeit. Wir haben einfach gut zusammengepasst, uns perfekt ergänzt. Wunderbare Erinnerungen sind die Polarlichter, die Natur - die Pinguine, riesige Eisberge.  Dass ich die Chance hatte, diese unberührte Natur zu sehen, erst recht im Winter, daran denke ich gern zurück. Das können in der Neumayer-Station nur neun Personen pro Jahr, das war eine einzigartige Chance. Es gibt nichts, woran ich ungern zurückdenke. Es gab höchstens Momente, die eher weniger schön waren als andere. Zum Beispiel Weihnachten oder Ostern oder am Geburtstag: Dann vermisst man Familie und Freunde. Man möchte auch mal wieder unter Menschen oder neue Leute kennenlernen. Man ist ja zu neunt acht Monate lang in der Antarktis „gefangen“. 

Kaiserpinguine kuscheln sich im Eis zusammen Kaiserpinguine kuscheln sich im Eis zusammen


Arbeiten bei großer Kälte und monatelanger Dunkelheit ist sicherlich eine große Herausforderung. Wie schwer war es, sich darauf einzustellen?

Man startet eigentlich mit dem kompletten Gegenteil, mit Sommer und 24 Stunden Helligkeit. Man kommt dort an, man hat den Polartag. Das hatte ich noch nicht davor, also 24 Stunden Helligkeit und dass die Sonne nicht untergeht. Im Sommer war es überhaupt nicht kalt. Im Winter ist es das komplette Gegenteil. Da hat man zwei Monate komplette Dunkelheit. Das ist so ein langsamer Prozess. Es wird immer dunkler und dunkler, irgendwann geht die Sonne gar nicht mehr auf. Und das ist schon so eine Phase, da war es für mich zum Beispiel schwierig, nach der Mittagspause wach zu bleiben. Man wird sehr schnell müde. 

Die Kälte ist extrem im Winter. Wenn da minus 50 Grad sind und man draußen ist, das ist sehr unangenehm. Man muss sich warm einpacken. Man muss alle Haut abdecken. Wenn man eine offene Stelle hat, also nackte Haut, dann kriegt man eine Erfrierung. Das geht sehr schnell. So leichte Erfrierungen hat man schon mal, Frostbite nennt man es. Das sieht aus wie ein kleiner Sonnenbrand.

Wie muss man sich das Zusammenleben bei der Überwinterung vorstellen?

Wir hatten abends ein gemeinsames Essen, da mussten alle da sein. Das war für uns ein schönes Zusammenkommen, da konnte man sich austauschen. Man kann sich ansonsten seine Zeit selbst einteilen, jeder hat seine Arbeit und seine Routine. Das bedeutet auch, dass eine Person um 6 Uhr aufsteht und die andere erst um 10. Trotzdem kennt man sich genau. Wenn ich zum Beispiel im Büro gearbeitet habe, habe ich schon am Laufen erkannt, wer da kommt. Man kann sich in der Station gut zurückziehen. Die Station ist für neun Leute zu groß, denn im Sommer sind bis zu 60 Personen da und dafür ist die Station ausgelegt. Es gibt für abends einen Gemeinschaftsraum, wo man zusammensitzt, an der Bar ein Bier trinkt oder Tischkicker spielt oder einen Film guckt. Es ist wie eine große WG. Wir haben sehr viel zusammen gemacht. Man lebt dort mit Menschen von Mitte 20 bis Anfang 60 zusammen, und die werden wirklich Freunde. Ich war 27, 28 Jahre alt. Mein bester Freund da war der Koch. Er war damals 60. 

Drei Personen stehen vor einem Gletscher Drei Personen stehen vor einem Gletscher


Welche Qualitäten und Charakterzüge helfen dabei, einen so langen Zeitraum in einer kleinen Gruppe unter schwierigen Bedingungen zu verbringen? 

Wenn man dorthin geht, dann muss man sich bewusst sein, dass man dort monatelang nicht wegkann. Man muss Rücksicht aufeinander nehmen und offen kommunizieren und füreinander da sein. Bei uns hat das sehr gut funktioniert. Dann passen auch Charaktere zusammen, die vielleicht in Deutschland gar nicht in Kontakt gekommen wären. Da nimmt man auch viel mit für sich. Ich merke, dass ich toleranter und offener bin und nicht mehr so kritisch mit anderen Menschen. Es verändert einen. 

Sie haben in Ihrer Freizeit wunderbare Fotoaufnahmen gemacht, die Sie auch bei Vorträgen zeigen. Sie haben auch einen Kalender zusammengestellt und Fotos zu einem Buch beigesteuert. Was ist Ihr Lieblingsmotiv?

Ich habe dort jeden Tag fotografiert. Erst mal das, was jeder fotografiert, die Station und die Umgebung, weil es so atemberaubend ist. Dann habe ich angefangen, die Motive zu fotografieren, von denen es noch keine Aufnahmen gab. So habe ich jetzt auch Bilder, mit denen ich herausstechen kann. Ich habe auch gefilmt. Deshalb habe ich jetzt Videos und Fotos für meine Vorträge – und die Geschichten, die ich dazu erzähle. Ich möchte mit den Vorträgen und dem Kalender zeigen, wie es in der Antarktis ist, denn die meisten Menschen werden es nie vor Ort sehen. Mein Lieblingsmotiv ist ein Bild mit ausgewachsenem Pinguin und Küken. Das Bild ist tatsächlich am Polartag entstanden, um 2 Uhr nachts, als die Sonne relativ niedrig am Horizont stand. Es herrschte ein gewisser Wind, sodass der Schnee schon aufwirbelt auf dem Boden. Da habe ich mich hingelegt und das fotografiert. Das war ein unglaublicher Moment. 

Babypinguin kuschelt mit ihrer Mama Babypinguin kuschelt mit ihrer Mama

Bilder: © Michael Trautmann

Ellen Reim

Bremen

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