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Was können wir tun, um unsere Gletscher zu erhalten?

Was können wir tun, um unsere Gletscher zu erhalten?


Der Weltwassertag der Vereinten Nationen stellt das Jahr 2025 unter das Motto "Glacier Preservation", also: Gletscher Erhalt. Wir haben mit Annett Strauß, Referentin/Meteorologin für Klimakommunikation des Klimahauses Bremerhaven, über die Gefahren und Risiken der dahinschmelzenden Gletscher gesprochen und auch darüber, inwieweit uns das im Nordwesten eigentlich betrifft.

Annett Strauß wurde 1980 im Harz geboren. Sie studierte Meteorologie an der Leibniz Universität Hannover. Danach folgten die Stationen: Windenergie/Windmessprojekte Wilhelmshaven, Regenverstärkung Jordanien, Satellitenklimatologie & Datenvisualisierung Deutscher Wetterdienst Offenbach. 

Seit 2025 ist sie im Klimahaus Bremerhaven tätig als Referentin/Meteorologin für Klimakommunikation. 


Wenn wir vom Klimahaus auf dem 8. Längengrad Ost entlangreisen, sind die nächsten Gletscher rund 1.000 Kilometer weit weg, die letzten Gletscher hier sind in der jüngsten Eiszeit vor 11.000 Jahren abgeschmolzen. Was haben Gletscher heute mit uns hier im Nordwesten zu tun?

„Der Norden Deutschlands wurde durch die Eiszeiten geprägt. Die Eismassen schoben dabei riesige Schuttmengen aus Skandinavien bis nördlich der Mittelgebirge. Aus diesem Schutt wurde das norddeutsche Tiefland. Das damals in den Gletschern gebundene Wasser sorgte für eine weiter nördlich verlaufende Küstenlinie. Heute ist dieses Wasser nicht mehr gebunden und hat uns die südlichere Küstenline beschert.

Aber auch heutige Gletscher beeinflussen unser Leben, unsere Infrastruktur und unsere Transportwege in Nordwestdeutschland: Unsere Flüsse werden zu nicht unerheblichen Anteilen aus Gletscherwasser gespeist, und das Abschmelzen des Grönlandgletscher und Antarktis-Eises führt zum Meeresspiegelanstieg vor unseren Deichen.“

Welche Risiken und konkrete Gefahren bedeuten dahinschmelzende Gletscher?

„Die globale Erwärmung lässt Gletscher und Schneedecken besonders schnell schmelzen, da sie sehr empfindlich auf sich verändernde Lufttemperaturen reagieren und somit präzise Seismographen für den Klimawandel darstellen. Wasserabflüsse von Gletschern werden immer unregelmäßiger. 

Das Süßwasser aus der Gletscherschmelze ist das wichtigste Trinkwasserreservoir in Gebirgsregionen. Langfristig fließt das noch in den Gletschern gebundene Wasser ins Meer und geht als Trinkwasser verloren. Die Folgen sind: Absenkung der Wasserspiegel, akuter Wassermangel, Austrocknen der Flussbetten und daraus folgende Dürrekatastrophen. 
Auch Viehzucht, Forstwirtschaft, Tourismus und Energieerzeugung benötigt eine stabile Versorgung. Die Zerstörung dieser natürlichen Wasserspeicher kann zu Wasserknappheit und Trockenperioden führen. Große europäische Flüsse wie Rhône und Rhein entspringen in Gletschergebieten. 

Durch die schnelle Schmelze erhöht sich die Gefahr von Gletscherseeausbrüchen. Das heißt durch Gletscher gestaute Seen können sich innerhalb kürzester Zeit entleeren und katastrophale Fluten zur Folge haben, die in besiedelten Gebieten immer wieder zu starken Schäden führen. Die flussabwärts siedelnde Bevölkerung ist somit stärker gefährdet.

Ebenso werden große Schuttareale, die sogenannten Gletschervorfelder, freigelegt. Bei Starkregen kann das lockere Gestein als Murgang oder Erdrutsch Täler und Siedlungen zusätzlich gefährden. Schnell ansteigende Gletscherseen bilden sich und die Bergsturz-Gefahr nimmt zu. Der Permafrost - die 20-100 Meter dicke Schicht aus Eis und Boden im Hochgebirge, die normalerweise ganzjährig gefroren bleibt – taut auf und setzt ebenfalls lockeres Gestein frei.“

Die Reise im Klimahaus führt durch die Klimazonen der Welt bis in die Antarktis. (Foto: Hannes Voigts)


Für den tiefliegenden Lebens-, Wirtschafts- und Naturraum hier im Nordwesten ist Küstenschutz lebenswichtig. Jüngst war zu lesen, dass in entsprechende Maßnahmen allein 2024 80 Millionen Euro investiert wurden, der Löwenanteil entfällt auf das Erhöhen der Deiche, weil statt mit 50 Zentimetern Meeresspiegelanstieg in 100 Jahren nun von 100 Zentimetern ausgegangen wird. Welchen Anteil hat daran das Abschmelzen des „ewigen Eises“?

„Der Meeresspiegelanstieg wird nicht allein durch Gletscherschmelze verursacht, sondern auch durch den Effekt, dass sich Wasser bei Erwärmung ausdehnt. Während der Anteil des Schmelzwassers am Meeresspiegelanstieg im letzten Jahrhundert noch geringer war als der der thermischen Ausdehnung, hat sich dies inzwischen geändert: Klimaforscher:innen schätzen, dass mittlerweile knapp zwei Drittel des globalen Meeresspiegelanstiegs auf das Schmelzen von Küstengletschern, Gebirgsgletschern und polaren Eiskappen zurückgehen.“

Ist Deiche erhöhen eine nachhaltige Antwort auf die Erderwärmung? Oder die einzig realistische Maßnahme?

„Die Erhöhung der Deiche ist eine wirksame Anpassungsmaßnahme, um sich vor dem steigenden Meeresspiegel zu schützen. Sie ist sicherlich nötig. Die Ursache bekämpft das jedoch nicht. Wichtig ist, dass etwas gegen den Klimawandel getan wird, der den Meeresspiegel ansteigen lässt. Es muss beides getan werden.“

Historische Aufnahme: Eine Alm am Schweizer Gletscher Blüemlisalpfirn im Hochsommer 1904. Deutlich ist die Gletscherzunge im Hintergrund zu erkennen. (Foto: Manolo Ty)


Was kann mensch tun, um Gletscher zu erhalten? Wir haben mal im Film gesehen, dass Gletscher mit Folie abgedeckt wurden. Ist das nicht etwas grotesk angesichts von irgendwas zwischen 211.000 bis 250.000 Gletschern weltweit?

„Es gibt tatsächlich vereinzelte Versuche, auf künstlichem Wege das Abschmelzen zu verlangsamen; was jedoch nur mäßigen Erfolg bringt. Zum Beispiel eine Bedeckung der Gletscher mit speziellen Folien oder den fehlenden Schnee mit Schneekanonen zu ersetzen. Dies ist nur sehr lokal und kurzzeitig umsetzbar und sicher nicht die Lösung.
Hier wird sich der sogenannte Albedo-Effekt zu Nutze gemacht. Kurz gesagt: weiße Oberflächen reflektieren mehr Sonnenlicht/Strahlung als dunkle/dreckige. So reflektiert die frische weiße Schneedecke mehr Sonnenstrahlung; wobei dunkle Schneeoberflächen die Wärme absorbieren und für ein schnelleres Abschmelzen sorgen. Auch freigelegte Eisflächen (Felsen) sind dunkler und erwärmen sich dann deutlich schneller. Wer Gletscher wirklich retten will, sollte sich dem Klimaschutz widmen.“

Dieselbe Alm im Sommer 2021: vom Gletscher ist nichts mehr zu sehen. (Foto: Manolo Ty)


„In den Alpen ist die Abflussspitze schon überschritten“, sagt der Glaziologe Tobias Bloch, fast 40 Prozent der Eismasse ginge allein seit dem Jahr 2000 verloren. Ist da überhaupt noch was zu machen?

„Das heutige Gletschereis in den Alpen wird bis 2050 auf die Hälfte schrumpfen. Dieser Trend ist global, wenn auch mit regionalen Unterschieden. Dieser Prozess ist nicht mehr zu stoppen. Gletscher reagieren allerdings etwas verzögert auf die beschleunigte menschengemachte Erderwärmung.  Daher ist es wohl für etliche Gletscher bereits zu spät; vor allem in Regionen mit eher kleinen Gletschern, dazu gehören etwa die Alpen, Pyrenäen, Skandinavien oder der Kaukasus. Schaffbar wäre es, einen Teil der heutigen Gletscher noch zu retten, wenn alle zusammenarbeiten und schnell viele CO2-Emmissionen einsparen. Daran führt kein Weg vorbei.“

Gibt es auch noch intakte Gletscher? Oder sogar wachsende?

„Es gibt tatsächlich ein paar wenige Gletscher, die derzeit wachsen. Aber lediglich 19 von insgesamt 166 untersuchten Gletschern zeigten 2018/2019 eine Massenzunahme.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es dort den Klimawandel nicht gäbe. Dort könnten lokal stärkere Schneefälle den Zuwachs erklären. Zuwachs in den Jahren um 2018 hatte z.B. der Jakobshavn-Gletscher in Grönland. Dies ist jedoch nur ein vorübergehendes Phänomen, was auf die Nordatlantische Oszillation (natürliche zyklische Abkühlung der Gewässer im Nordatlantik) zurückzuführen ist. Solch ein kurzfristiger Gewinn an Gletschermasse löst jedoch nicht den globalen Trend der Gletscherschmelze dauerhaft.“

Läuft es nicht darauf hinaus, dass Gletscher nur indirekt erhalten werden können, durch direkte Maßnahmen zum Klimaschutz, um die Erderwärmung zu stoppen?

„Es gibt derzeit keine Technik oder Maßnahme, mit der Gletscher trotz steigender Temperaturen künstlich erhalten werden können. Climate-Fiction-Autor:innen wie Kim Stanley Robinson beschreiben immens energieaufwendige Techniken, mit denen Wasser zurück auf den antarktischen Eisschild gepumpt wird, um dort festzufrieren – davon sind wir in der Realität weit entfernt. Der Schweizer Glaziologe Felix Keller versucht es im Kleinen und züchtet künstliche Gletscher, sogenannte Eis-Stupas. Keine dieser “Geoengineering”-Maßnahmen ist sinnvoll, solange die Erderwärmung ungebremst voranschreitet.“

Was kann mensch im Klimahaus zum Thema des Weltwassertages 2025 lernen?

„In der Hauptausstellung “Reise” stehen Sie als Besucher:in direkt zum Einstieg vor einem großen Schweizer Gletscher, dem Blüemlisalpfirn. In Video- und Audiostationen rund um den Gipfelaufstieg erzählt die Familie Infanger vom drastischen Rückgang dieses Gletschers, der sich direkt vor ihren Augen abspielt, und wie die Gefahr von Steinschlägen und Murgängen rund um ihren Alm-Betrieb erhöht. Echtes Eis erleben Sie auch in der Reisestation Antarktis: Hier forschen Teams des Alfred-Wegener-Instituts, erheben Messdaten und ziehen Eisbohrkerne aus dem Gletschereis, die Aufschlüsse über das Erdklima vor Jahrmillionen geben. Dabei wird deutlich, dass der westantarktischen Eisschild an seinen Rändern bereits instabil wird. Die großen Landeismassen der Antarktis und Grönlands tragen durch ihr Abschmelzen zum Meeresspiegelanstieg bei, der sowohl die Bewohner:innen des Südpazifik-Staats Samoa und als auch die Menschen auf der norddeutschen Hallig Langeneß besonders hart trifft: zunehmende Sturmfluten sind in beiden Klimahaus-Reisestationen ein beherrschendes Thema.“

Angenommen Sie haben einen Wunsch frei. Was wünschen Sie sich passend zum UN-Weltwassertagmotto?

„Rund über und um die Gletscher schneit es wieder viel häufiger; die Menschen denken auf einmal um; sind sich ihrer Verantwortung bewusst und handeln danach.“

Johannes Kelschebach

meist in Oldenburg und viel unterwegs...
Dürfen wir Sie fragen wie eigentlich alles begann?: Ja, dürfen Sie - studiert habe ich Neu,- und Altgermanistik und Philosophie. Danach war ich viele Jahre als Werbetexter und Kreativdirektor für Agenturen tätig.
Und heute?: Seit 2006 arbeite ich als freiberuflicher Kommunikationsberater.
In Ihrer Freizeit erleben Sie auch viel, oder?: Nun, ich bin oft unterwegs. Vor allem in der Natur. Wie sagt man so schön, als Naturgucker und Vogelbeobachter.
Bildnachweis/Portrait: Privat

Johannes Kelschebach

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Dürfen wir Sie fragen wie eigentlich alles begann?: Ja, dürfen Sie - studiert habe ich Neu,- und Altgermanistik und Philosophie. Danach war ich viele Jahre als Werbetexter und Kreativdirektor für Agenturen tätig.
Und heute?: Seit 2006 arbeite ich als freiberuflicher Kommunikationsberater.
In Ihrer Freizeit erleben Sie auch viel, oder?: Nun, ich bin oft unterwegs. Vor allem in der Natur. Wie sagt man so schön, als Naturgucker und Vogelbeobachter.
Bildnachweis/Portrait: Privat
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